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Tisch Nummer 18

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Prolog Es war mehr schwarz als grau in diesem verlassenen Trakt der ehemaligen Rehaklinik. "Ann-Kathrin, gib mir mal deine Taschenlampe", sagte Matthias. Kurz leuchtete das Licht auf sein Shirt. ICH KENNE DA EINE ABKÜRZUNG stand quer über seiner Brust. Dann fiel der Strahl zu der einst modernen Einrichtung des Zimmers. "Hier war früher anscheinend die Verwaltung untergebracht. Guckt mal, hier steht noch eine Kaffeetasse", flüsterte er. "Ich glaub's ja nicht! Unfassbar!", antwortete Franziska, die in einer alten Patientenakte blätterte. "Und ich krieg jedes Mal wegen des Datenschutzes eins auf den Deckel, wenn ich vergesse einen Namen zu schwärzen", knurrte sie vor sich hin. John, der sich vorsichtig zu ihnen bewegte, hörte plötzlich ein Geräusch und kurz darauf einen Schrei.  Er schaute sich nach den anderen um. Zu Acht hatten sie sich auf den Weg durch den Wald hierher gemacht. Sogar Beate war mitgekommen, obwohl ihr Knie heftig schmerzte.  ...

"Kleines Glück" ganz groß

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  Das Eckhaus, vor dem sie stand, war schätzungsweise zu Beginn des 19. Jahrhundert errichtet worden. Die Balkone, groß genug, darauf zu frühstücken oder am Abend ein Glas Wein in der Abendsonne zu trinken, fügten sich harmonisch in das Bild der Straße ein. An deren schmiedeeisernen Geländern hingen Balkonkästen, die liebevoll von den Bewohnern bepflanzt worden waren. Alle Häuser waren vom gleichen Stil, ohne Zerstörung im 2. Weltkrieg und daher gab es keine Lückenbebauung. Die hohen Linden entlang der Straße waren ebenfalls alt; mit mächtigen Kronen und dicken Stämmen.  Das Eckhaus beherbergte in der unteren Etage ein Antik Café. Die Fahrräder davor standen kreuz und quer. Manche waren angeschlossen, manche nicht. Die Frau auf der anderen Straßenseite trug einen hellen Sommermantel. Ihre 47 Jahre sah man ihr kaum an. Sie blickte auf ihre Armbanduhr, die weder ihre Schrittzahl anzeigte noch diverse gesundheitliche Daten ihres Körpers. 'Ich habe noch etwas Zeit', dachte Julie...

Der Tag, als Berta, das kleine Igelmädchen, feststeckte ....

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Berta saß eines Morgens mit ihren Freunden Charly, dem Eichhörnchen, und Würfelmurf, dem Maulwurf, zusammen. Der kleine Maulwurf hatte eine winzige Sonnenbrille aufgesetzt, weil das Sonnenlicht seine empfindlichen Augen so blendete. Es sah lustig aus, wie er aus seinem Maulwurfshügel schaute, den Kopf auf die Hände gestützt.  Charly rollte eine Haselnuss hin und her und Berta seufzte. "Heute ist irgendwie gar nichts los", meinte das Igelmädchen. "Wart ihr schon im geheimen Garten?", fragte das Eichhörnchen. Er kannte keine Langeweile. "Ein geheimer Garten? Wo soll das sein?", fragte Berta neugierig. Würfelmurf gähnte. "Na hier nebenan", erklärte Charly und zeigte auf das Nachbargrundstück. "Dort wohnt schon lange keiner mehr. Niemand erntet die Kirschen am Baum und in wenigen Wochen liegen die leckersten Äpfel auf dem Boden. Absolut keine Gefahr für uns!". Bei den Gedanken an leckere Äpfel lief Berta das Wasser im Mund zusammen. Essen w...

Marcellas Haus

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Diese Geschichte spielt in einer Stadt, wie es viele in der Toscana gibt. Wenn in dem dort besonderen Morgenlicht das Leben erwacht, Tauben gurren und Mauersegler ihre typischen Rufe ausstoßen, wenn in der Mittagshitze die Zikaden rufen und die Abendsonne alles ganz weich erscheinen lässt. So auch hier, an diesem Ort. Im Garten des Casa am Rand dieser mittelalterlichen Stadt im Val d'Orcia, im Herzen der Toscana. Chiara fuhr vorsichtig die schmale Straße durch die Weinberge, blinkte und rollte langsam auf die Auffahrt. Als sie ausstieg, musste sie lächeln. Alles trug Tante Marcellas Handschrift - der duftende Rosmarin ringsum, die Rabatten mit den verschiedenen bunten Blumen, die Hecke mit wild ineinander gewachsenen Büschen und überall die eckigen Terrakottakübel mit gelben und rosafarbenen Oleanderblütem. Der Rasen glänzte satt und grün. Es war Frühling in der Toscana. Tante Marcellas Katze Allegra, die bisher von einer Nachbarin gefüttert worden war, schaute neugierig hinter de...

Wie aus dem Weihnachtsfrosch ein Osterfrosch wurde

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"Ach ja", seufzte der kleine Frosch zum wiederholten Mal an diesem Tag. Er saß auf einem Stein am Gartenteich und stocherte lustlos mit einem alten Rohrstock im klaren Teichwasser. Hinter einer kleinen Mauer aus Feldsteinen blühten Tulpen in vielen Farben und kündigten den nahen Frühling an. Der Frosch wartete auf die Nachtigall, denn ihr Gesang erfüllte ihn in jedem Jahr aufs Neue mit Freude. Gestern kam sie nicht, am Tag zuvor sowieso nicht und auch heute hatte er noch nicht ihre Melodie vernommen. Das Eichhörnchen versuchte ihn jeden Morgen aufzumuntern, wenn es am Gartenteich trank. "Sie wird schon kommen. Du musst dich eben ablenken! Wann hast du dich das letzte Mal über etwas Schönes gefreut?", fragte es den Frosch. Der überlegte. "Also das letzte Mal gefreut, hmm ..... Da muss ich nachdenken, das ist lange her! Ich glaube zu Weihnachten. Da war ich doch als Weihnachtsfrosch unterwegs und habe in all eure glücklichen Gesichter geschaut. Ja, darüber habe ...

Und wieder Ostern bei Familie Trautzsch

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  Es war ein typischer Sonntagnachmittag im Wohnzimmer bei Familie Trautzsch. Herbert Trautzsch lag auf dem Sofa. Die Zeitung, in der er bis vor wenigen Minuten noch gelesen hatte, lag nun auf seiner Brust. Seine Wangen blähten sich bei jedem Atemzug auf und fielen mit einem langen "Pfffffff" wieder in sich zusammen.   Edeltraut saß im Sessel gegenüber und blätterte in einer Gartenzeitung mit Rezepten für das kommende Osterfest. Auf ihrem Schoss schlief ihre Katze Morle, die ihr Herbertchen zu Weihnachten geschenkt hatte. Gustel, der betagte Dackel des Ehepaares Trautzsch, schlief neben ihren Füßen. Seite an Seite mit Edeltraut saß der Osterhase. Es war ein harmonisches Bild im Wohnzimmer von Edeltraut und Herbert Trautzsch. Der Osterhase hielt sein Gesicht mit geschlossenen Augen zum frischgeputzten Fenster, durch das die Frühlingssonne schien und ihn wärmte. "Hm!", murmelte Edeltraut. "Hier steht geschrieben, dass es in diesem Jahr zu Engpässen mit Eiern ko...

Das eingefrorene Glück

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Annette sah die roten Lichter der  Leuchtreklame schon von weitem. Wie jeden Morgen zählte sie ab der großen Eiche, die zu dieser Jahreszeit keine Blätter mehr trug, bis siebzig; und rollte kurz danach auf den Mitarbeiterparkplatz des Supermarktes. Es war ein typischer Samstagmorgen. Am Abend würde sie sich mit ihren Freunden treffen. Flink tippte sie in die WhatsApp Gruppe ihres Handys "Ich freue mich auf heute Abend", dann eilte sie über den Parkplatz zu ihrer Kollegin Julia, die bereits auf Annette wartete. "Weißt du, was ich mir wünschen würde; dass jeden Samstag immer 18 Uhr Feierabend wäre! Ich bin so froh, dass wir heute Frühschicht haben", begrüßte Julia ihre Lieblingskollegin. "Und ich hätte gern jeden Samstag frei", lachte Annette und schloss die riesige Glastür auf. Schon bald durchzog der Duft von frischen Brötchen den ganzen Supermarkt und die ersten Kunden kamen zu ihr an den Backstand. Der Tag verging im Nu. Annette bediente freundliche abe...
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Für meine diesjährige Silvestergeschichte konnte ich mich nicht entscheiden - wird es eine Kindergeschichte oder eine Geschichte für Erwachsene? Und deshalb ist es eine Doppelgeschichte geworden -  mit dem selben Rahmen aber verschiedenen Inhalten. Sie beinhaltet den Jahreswechsel aus Sicht der Tiere im Wald, mit Blick auf die Menschen der nahen Stadt. Es ist die Zeit der Rauhnächte, eine ganz besondere Zeit. Spürt beim Lesen den Zauber dieser ganz besonderen Rauhnacht oder lest euren Kindern / Enkeln mit betonten Stimmen vor, wie die Tiere die Silvesternacht erleben. Ich wünsche euch ganz viel Freude und von Herzen ein friedliches, gesundes Jahr 2025.  Eure Henriette 1.  Meine Silvestergeschichte für alle großen Leser  Der letzte Tag im alten Jahr begann leise! In der Nacht hatte es geschneit und wie eine weiße Decke lag nun der Schnee über dem Wald und über der nahen Stadt. Auch die Geräusche schienen weniger laut zu sein. Hier im Wald sowieso. Schnee knirschte unt...

Weihnachten in Not

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Am Tag vor Heiligabend, also am 23. Dezember, war auf dem kleinen Marktplatz, direkt neben der alten Feldsteinkirche, helle Aufregung. Der elfjährige Kurt hörte das Stimmengewirr durch sein Fenster, das zum Lüften noch offen stand. Schnell griff er nach seiner warmen Jacke, setzte die Mütze auf und zog die Eingangstür hinter sich zu. Er folgte den lauten Stimmen. Dann sah er, was die Bewohner so in Aufregung versetzte. Der bunt geschmückte Weihnachtsbaum fehlte; er war einfach weg! Wie konnte das sein? Kurt erinnerte sich an den Tag, als die Feuerwehr dabei geholfen hatte, die große Tanne aus dem Garten von Familie Albrecht zum Marktplatz zu bringen und dort aufzustellen. Frau Müller-Schmidt, die Leiterin des Kindergartens, war mit den Kindern gekommen und jedes Mädchen, jeder Junge hatte einen selbstgebastelten Stern an den Weihnachtsbaum gehängt. So war es jedes Jahr Tradition -  genauso wie es Tradition war, dass die Bürgermeisterin am selben Abend die Lichterkette zum Leuchten ...

Heiligabend bei Familie Trautzsch

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Was für ein Weihnachtstag! Edeltraut lag nach all dem Chaos in ihrem Bett und wartete. Ihr großer Zeh war geschwollen und puckerte. Und das, obwohl sie alles so gut vorbereitet hatte. Wer hätte gedacht, dass sie alle bei so viel Durcheinander doch noch gemeinsam "Stille Nacht, heilige Nacht" singen würden. Dabei hatte rückblickend alles so entspannt begonnen. * Es war am Morgen des 24. Dezember. Edeltraut, schon länger wach, lauschte dem leisen Schnarchen ihres Mannes, sein gleichmäßiges "Hrrrrrrrrrrrr pchchchch" tönte mit dem Ticken des Weckers um die Wette. In wenigen Tagen würde das Jahr zu Ende und sie selbst mit großen Schritten auf ihrem 70. Geburtstag zu gehen. Wo waren nur all die Jahre geblieben? Edeltraut Trautzsch, in jeder Hinsicht eine robuste Frau, sowohl körperlich als auch mental, schien jeder Lebenslage gewachsen, hatte das Herz am rechten Fleck und auf der Waage einige Kilo zu viel. Ihr üppiger Busen war noch in Form und wenn sie lachte, steckte ...

Das vierte Postpaket

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Nun meldete sich auch das letzte Paket zu Wort. Es war sehr groß und berichtete von seinem Inhalt und dem Weg aus der Toscana nach Deutschland, in diese Hauptpost. Seine ersten Worte galten dem Paket, das so hübsch weihnachtlich verpackt war: "Buonasera! Soll ich dir etwas verraten? Irgendwie  sind wir Nachbarn. Guck mal auf meinen Paketschein.", lachte es. Und tatsächlich! Der Absender des ersten Paketes und der Empfänger dieses Paketes hatten die gleiche Straße und beinahe dieselbe Hausnummer. Helene Kaiser wohnte mit ihrer Familie direkt neben dem Ehepaar Trautzsch. Nur die nun kahlen Gärten trennten die Häuser. Wann immer sich Helene oder Edeltraut trafen, winkten sie sich zu oder erzählten miteinander. So manches Mal hatte Frau Trautzsch auf die Zwillinge Ada und Albert aufgepasst oder Helene auf andere Weise unterstützt. Helenes Mann kam oft erst spät aus dem Büro. Als es das erste Mal um die Vorbereitungen zum diesjährigen Weihnachtsfest ging, wollte er wissen, ob die...

Das zweite Postpaket

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Das nächste Paket, welches sich in der Dunkelheit zu Wort meldete, war das nagelneue Paket mit dem Logo von Amazon. "Auch ich bin ein Weihnachtspaket, eines von sehr vielen, die jeden Tag verschickt werden. Aber so schön und liebevoll wie du bin ich nicht umwickelt.", sagte es und blickte etwas neidvoll  auf das erste Paket. "Gepackt hat mich jemand, der den Empfänger überhaupt nicht kennt. Mich bekommt nämlich ein Kind, das sehr gern zu Weihnachten seinen Papa bei sich hätte. Aber das geht nicht. Soll ich euch davon berichten? ", fragte das Paket, holte tief Luft und begann seine Geschichte zu erzählen. * Herr Schütti sah gar nicht aus wie ein Kapitän. Irgendwie stellt man sich doch einen Mann in seiner Position als älteren, erfahrenen Mann mit weißem Haar und weißem Bart vor. Herr Schütti war definitiv erfahren; hatte mit seinen rund vierzig Jahren aber noch kein graues Haar. Souverän steuerte er große Kreuzfahrtschiffe über die Ostsee und über die Nordsee. Hier ...