Marcellas Haus
Diese Geschichte spielt in einer Stadt, wie es viele in der Toscana gibt. Wenn in dem dort besonderen Morgenlicht das Leben erwacht, Tauben gurren und Mauersegler ihre typischen Rufe ausstoßen, wenn in der Mittagshitze die Zikaden rufen und die Abendsonne alles ganz weich erscheinen lässt. So auch hier, an diesem Ort. Im Garten des Casa am Rand dieser mittelalterlichen Stadt im Val d'Orcia, im Herzen der Toscana.Chiara fuhr vorsichtig die schmale Straße durch die Weinberge, blinkte und rollte langsam auf die Auffahrt. Als sie ausstieg, musste sie lächeln. Alles trug Tante Marcellas Handschrift - der duftende Rosmarin ringsum, die Rabatten mit den verschiedenen bunten Blumen, die Hecke mit wild ineinander gewachsenen Büschen und überall die eckigen Terrakottakübel mit gelben und rosafarbenen Oleanderblütem. Der Rasen glänzte satt und grün. Es war Frühling in der Toscana.
Tante Marcellas Katze Allegra, die bisher von einer Nachbarin gefüttert worden war, schaute neugierig hinter dem mit einem Schilfdach bedeckten Stellplatz für das Auto hervor. Chiara bückte sich und lockte die Katze zu sich. Wie weich ihr Fell ist, dachte sie. Allegra begann zu schnurren.
Während sie langsam auf das Casa zuging, suchte Chiara den richtigen Schlüssel am Bund heraus und stieg die Treppe hinauf. Sie spürte die warmen Sandsteinstufen unter ihren Füßen. Auch die Wände des Hauses, das aus Sandstein gebaut war, fühlten sich warm an. Noch immer musste man den Schlüssel in die entgegengesetzte Richtung drehen, damit die dunkelbraune Haustür aufsprang. Das Türschloss, vor vielen Jahren falsch gesetzt, ratterte. Dann öffnete sich die Tür. Die Luft war nicht wie vermutet abgestanden, sondern frisch, die Nachbarin lüftete täglich das Casa. Chiara öffnete die Fenster. Sacht bewegten sich die Gardinen aus weißem Baumwollgewebe. Sie hingen jeweils links und rechts an den Fenstern, Tante Marcella mochte den Blick in den großen Garten..
Chiara ging langsam durch alle Räume. Sie erinnerte sich an jedes Detail, hatte sie doch oft in den Ferien mit Gino, ihrem Bruder, den Sommer hier verbracht. Der Blick vom Wohnzimmerfenster ging weiter ins Tal und vom Schlafzimmer konnte sie die Stadt sehen.
Vor dem Badezimmerfenster begannen die sanften Weinhügel. Vorsichtig berührte Chiara die wunderschönen Fliesen an den Wänden. Die quadratischen weißen Fliesen mit dem dunkelblauen Rand strahlten sauber. Chiara hatte schon als kleines Mädchen davorgekniet und die Fliesen bewundert. Einzeln sahen die Fliesen aus, als hätten sie in jeder ihrer vier Ecken eine dunkelblaue Muschel. Zusammengefügt jedoch erschienen an der weißen Wand lauter dunkelblaue Blumen.
Chiara lächelte erneut. Sie erinnerte sich an die erfrischende Dusche, wenn die Hitze im Sommer selbst am Abend nicht zu enden schien. Auch die Dusche war mit diesen wunderschönen Fliesen ausgekleidet. Lediglich der rosafarbene Duschvorhang wirkte fehl am Platz, Chiara schob ihn zur Seite und sofort stieg ihr der Rosenduft von Tante Marcellas Seife in die Nase. Sie schloss ihre Augen und war einen Moment lang wieder das Mädchen und nicht die Frau in den Vierzigern von heute.
Dann griff sie zum Telefon und atmete nach dem Gespräch mit ihrem Bruder erleichtert auf. Gino lebte in Rom, hatte als Zahnarzt eine gut gehende Praxis und kein Interesse an dem Haus der Tante. Bis heute hatte er Chiara seine Entscheidung noch nicht mitgeteilt, doch jetzt stand es fest. Auch er wolle das Casa nicht verkaufen und ließ seiner Schwester freie Hand, was damit geschehen würde.
In Chiara reifte die Idee, diesen wunderbaren Ort, das Casa mit dem wunderschönen Garten, so zu lassen. Sie blickte auf den duftenden Blauregen an der Hauswand. Ja, sie würde dieses wunderbare Stückchen Erde vorerst als Ferienhaus vermieten. Und wann immer sie Zeit hätte, würde sie mit ihrer Familie hier Urlaub machen, und in ein paar Jahren aus Mailand ganz herziehen.
Chiara fuhr mit dem Auto in den Supermercato und kaufte für die nächsten Tage Lebensmittel ein - Katzenfutter, Wasser, Butter, Brot, Käse, Orangenmarmelade, Salami und Schinken, Eier, frisches Obst und Gemüse. Hier gab es nur regionale Produkte. Olivenöl und Wein hatte Tante Marcella in ihrer Speisekammer. Ihre Freunde, die den Olivenhain und den Weinberg von ihr pachteten, versorgten sie damit.
Am Abend lag Allegra auf Chiaras Schoss und schnurrte. Chiara hatte vor sich ein Blatt Papier, einen Kugelschreiber und ein Glas Vino Rosso. Ihre Notizen füllten das Blatt - was würde sie am Casa ändern? Wobei bräuchte sie Hilfe? Sie blickte sich um. Im Wohnzimmer würde sie lediglich das Sofa erneuern und vor den großen, offenen Kamin stellen. Den Esstisch bräuchte sie nur in die Mitte des Raumes vor das Fenster schieben. An dem großen, alten Holzschrank würde sie die Türen entfernen und ihn mit neuem Geschirr bestücken. Das Bad würde sie so belassen, einzig der Duschvorhang käme weg.
Als Chiara später in Tante Marcellas Schlafzimmer zur Ruhe kam, fügte sie gedanklich noch neue Matratzen auf das Notizblatt. Alles andere könnte so bleiben.
An den nächsten Tagen räumte Chiara all die persönlichen Dinge von Tante Marcella liebevoll zusammen und stellte Kiste für Kiste in ihr Auto. Abends saß sie mit der Nachbarin zusammen, die Chiara schon als kleines Mädchen kannte. Heute gab es eine leckere Minestrone, die sie extra wegen Chiara gekocht hatte. Es war spät, als sich die beiden Frauen voneinander verabschiedeten.
Zwei Wochen später war im "Casa Marcella" alles fertig. Chiara hatte sich bemüht, so wenig wie möglich zu verändern. Die toscanatypischen Erdtöne im Haus wirkten harmonisch. Die Wände hatte sie weiß streichen lassen. So kamen die alten, dunkelbraunen Holzmöbel gut zur Geltung und es wirkte trotzdem hell und freundlich.
Vom Esstisch konnte man den Garten bewundern. Chiara nahm Stück um Stück des neuen Geschirrs aus dem Holzschrank und deckte den großen Esstisch für zwölf Personen ein. Ihre Familie, die Nachbarin und die Freunde von Tante Marcella würden heute Abend daran Platz finden. Das helle, weiche Ledersofa wirkte einladend vor dem offenen Kamin. Im Schlafzimmer stand ein neues Bett, passend zu Tante Marcellas großen dunkelbraunen Kleiderschrank.
Chiara öffnete die Tür zum Bad. Hier sah es fast aus wie zuvor. Lediglich an der Dusche hatte sie etwas verändert. Statt eines Duschverhangs würde beim Duschen von nun an eine schlichte Glastür den Terrakottaboden vor den Wasserspritzern schützen. Außerdem gab die Glastür den Blick auf den Mamorwaschtisch und die weiß blauen Fliesen frei.
Am Abend duftete es im Casa nach Kräutern, Essen, Wein und Käse. Auf dem Tisch standen Schüsseln und Platten mit toscanischem Essen - Kaninchen und Rosmarinkartoffeln, Pasta mit Sugo, Oliven, Bruschetta, Pecorino und Wildschweinsalami mit Brot und Birnen.
Chiara erhob sich als Erste und hielt ihr Glas zu dem großen Portrait mit Marcellas freundlichen Gesicht. Es hing über einem Schränkchen, auf dem zur Erinnerung auch ihr Strohhut lag. "Salute, auf Tante Marcella", sprach Chiara dankbar in die Runde und alle stießen mit ihr an.
Nach dem Essen nahmen die Erwachsenen ihre Weingläser und alle gingen hinaus in den Garten. Chiara griff nach einem Fotoalbum. Dort, in einer begrünten Sitzecke, blätterte sie mit Gino zurück in ihre Kindheit, hier bei Tante Marcella in der wunderschönen Toscana.
Ende
PS: Für Marcella und Gino, deren Namen und deren Casa ich mir für diese Geschichte geborgt habe. Ich wünsche den Beiden noch viele gemeinsame Jahre im Herzen der Toscana 🌿🌾.
Dann griff sie zum Telefon und atmete nach dem Gespräch mit ihrem Bruder erleichtert auf. Gino lebte in Rom, hatte als Zahnarzt eine gut gehende Praxis und kein Interesse an dem Haus der Tante. Bis heute hatte er Chiara seine Entscheidung noch nicht mitgeteilt, doch jetzt stand es fest. Auch er wolle das Casa nicht verkaufen und ließ seiner Schwester freie Hand, was damit geschehen würde.
In Chiara reifte die Idee, diesen wunderbaren Ort, das Casa mit dem wunderschönen Garten, so zu lassen. Sie blickte auf den duftenden Blauregen an der Hauswand. Ja, sie würde dieses wunderbare Stückchen Erde vorerst als Ferienhaus vermieten. Und wann immer sie Zeit hätte, würde sie mit ihrer Familie hier Urlaub machen, und in ein paar Jahren aus Mailand ganz herziehen.
Chiara fuhr mit dem Auto in den Supermercato und kaufte für die nächsten Tage Lebensmittel ein - Katzenfutter, Wasser, Butter, Brot, Käse, Orangenmarmelade, Salami und Schinken, Eier, frisches Obst und Gemüse. Hier gab es nur regionale Produkte. Olivenöl und Wein hatte Tante Marcella in ihrer Speisekammer. Ihre Freunde, die den Olivenhain und den Weinberg von ihr pachteten, versorgten sie damit.
Am Abend lag Allegra auf Chiaras Schoss und schnurrte. Chiara hatte vor sich ein Blatt Papier, einen Kugelschreiber und ein Glas Vino Rosso. Ihre Notizen füllten das Blatt - was würde sie am Casa ändern? Wobei bräuchte sie Hilfe? Sie blickte sich um. Im Wohnzimmer würde sie lediglich das Sofa erneuern und vor den großen, offenen Kamin stellen. Den Esstisch bräuchte sie nur in die Mitte des Raumes vor das Fenster schieben. An dem großen, alten Holzschrank würde sie die Türen entfernen und ihn mit neuem Geschirr bestücken. Das Bad würde sie so belassen, einzig der Duschvorhang käme weg.
Als Chiara später in Tante Marcellas Schlafzimmer zur Ruhe kam, fügte sie gedanklich noch neue Matratzen auf das Notizblatt. Alles andere könnte so bleiben.
An den nächsten Tagen räumte Chiara all die persönlichen Dinge von Tante Marcella liebevoll zusammen und stellte Kiste für Kiste in ihr Auto. Abends saß sie mit der Nachbarin zusammen, die Chiara schon als kleines Mädchen kannte. Heute gab es eine leckere Minestrone, die sie extra wegen Chiara gekocht hatte. Es war spät, als sich die beiden Frauen voneinander verabschiedeten.
Zwei Wochen später war im "Casa Marcella" alles fertig. Chiara hatte sich bemüht, so wenig wie möglich zu verändern. Die toscanatypischen Erdtöne im Haus wirkten harmonisch. Die Wände hatte sie weiß streichen lassen. So kamen die alten, dunkelbraunen Holzmöbel gut zur Geltung und es wirkte trotzdem hell und freundlich.
Vom Esstisch konnte man den Garten bewundern. Chiara nahm Stück um Stück des neuen Geschirrs aus dem Holzschrank und deckte den großen Esstisch für zwölf Personen ein. Ihre Familie, die Nachbarin und die Freunde von Tante Marcella würden heute Abend daran Platz finden. Das helle, weiche Ledersofa wirkte einladend vor dem offenen Kamin. Im Schlafzimmer stand ein neues Bett, passend zu Tante Marcellas großen dunkelbraunen Kleiderschrank.
Chiara öffnete die Tür zum Bad. Hier sah es fast aus wie zuvor. Lediglich an der Dusche hatte sie etwas verändert. Statt eines Duschverhangs würde beim Duschen von nun an eine schlichte Glastür den Terrakottaboden vor den Wasserspritzern schützen. Außerdem gab die Glastür den Blick auf den Mamorwaschtisch und die weiß blauen Fliesen frei.
Am Abend duftete es im Casa nach Kräutern, Essen, Wein und Käse. Auf dem Tisch standen Schüsseln und Platten mit toscanischem Essen - Kaninchen und Rosmarinkartoffeln, Pasta mit Sugo, Oliven, Bruschetta, Pecorino und Wildschweinsalami mit Brot und Birnen.
Chiara erhob sich als Erste und hielt ihr Glas zu dem großen Portrait mit Marcellas freundlichen Gesicht. Es hing über einem Schränkchen, auf dem zur Erinnerung auch ihr Strohhut lag. "Salute, auf Tante Marcella", sprach Chiara dankbar in die Runde und alle stießen mit ihr an.
Nach dem Essen nahmen die Erwachsenen ihre Weingläser und alle gingen hinaus in den Garten. Chiara griff nach einem Fotoalbum. Dort, in einer begrünten Sitzecke, blätterte sie mit Gino zurück in ihre Kindheit, hier bei Tante Marcella in der wunderschönen Toscana.
Ende
PS: Für Marcella und Gino, deren Namen und deren Casa ich mir für diese Geschichte geborgt habe. Ich wünsche den Beiden noch viele gemeinsame Jahre im Herzen der Toscana 🌿🌾.
Ach, da möchte man doch gleich zum Urlaub in die Toskana fahren. Sie wecken Sehnsucht, liebe Frau Keller. Danke für Ihre - wie immer - schöne Geschichte. Christel P.
AntwortenLöschenEs ist dort
Löschenwirklich immer wieder eine Quelle für Inspirationen und die Seele. Herzlichen Dank!
Beim lesen deiner Geschichte, liebe Henriette befindet man sie mitten in der wunderschönen Toscana. ..ein Ort der alles andere vergessen lässt und neue Tore und Inspirationen öffnet. Ganz lieben Dank für die wunderbare Geschichte. .
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