Und wieder Ostern bei Familie Trautzsch
Es war ein typischer Sonntagnachmittag im Wohnzimmer bei Familie Trautzsch. Herbert Trautzsch lag auf dem Sofa. Die Zeitung, in der er bis vor wenigen Minuten noch gelesen hatte, lag nun auf seiner Brust. Seine Wangen blähten sich bei jedem Atemzug auf und fielen mit einem langen "Pfffffff" wieder in sich zusammen.
Edeltraut saß im Sessel gegenüber und blätterte in einer Gartenzeitung mit Rezepten für das kommende Osterfest. Auf ihrem Schoss schlief ihre Katze Morle, die ihr Herbertchen zu Weihnachten geschenkt hatte. Gustel, der betagte Dackel des Ehepaares Trautzsch, schlief neben ihren Füßen. Seite an Seite mit Edeltraut saß der Osterhase. Es war ein harmonisches Bild im Wohnzimmer von Edeltraut und Herbert Trautzsch. Der Osterhase hielt sein Gesicht mit geschlossenen Augen zum frischgeputzten Fenster, durch das die Frühlingssonne schien und ihn wärmte. "Hm!", murmelte Edeltraut. "Hier steht geschrieben, dass es in diesem Jahr zu Engpässen mit Eiern kommt!". "Lass man, Frau Edeltraut. Ich habe da so meine Quellen", murmelte der Osterhase müde und schlief ein. Kurze Zeit später schniefte er mit Morle, Gustel und Herbert Trautzsch um die Wette. Edeltraut löste das Kreuzworträtsel und notierte zwischendurch alle Ideen, die ihr für das große Osteressen mit der Familie einfielen.
Eine Woche später, am Gründonnerstag, war nichts mehr von dieser entspannten Atmosphäre zu spüren. Nirgends gab es Eier, weiße Eier schon gar nicht. Entweder verkauften die Supermärkte und Bioläden tatsächlich keine Eier oder die Menschen hatten sich mal wieder von den Nachrichten verrückt machen lassen und unermüdlich alle Eier aufgekauft. Das kam Edeltraut bekannt vor, hatten doch vor einigen Jahren manche Leute so viel Toilettenpapier kauft, dass die weißen Papierrollen noch lange aus deren übervollen Vorratsschränken quollen.
Selbst zum befreundeten Bauern am Stadtrand war Herbert gefahren; aber umsonst. Sogar die letzten drei grünkarierten Eierpackungen mit den weißen Eiern, die Bauer Schlemminger für sich selbst zur Seite gelegt hatte, waren seit dem Morgen irgendwie weg.
Gegen Mittag kam der Osterhase bei Familie Trautzsch vorbeigehoppelt. Schelmisch lachend überreichte er Edeltraut stolz drei grünkarierte Eierpackungen. Edeltraut war natürlich glücklich und tätschelte seine Stirn. Dreiundzwanzig weiße Eier würde sie färben und die sieben restlichen Eier waren ja ohnehin für ihren berühmten Eierlikör bestimmt.
In dem ganzen Trubel um die Eier schien es Frau Trautzsch jedoch entfallen zu sein, Ostereierfarbe zu kaufen. "Also Edeltraut, wirklich. Wenigstens an Farbe hättest du denken können!", maßregelte Herbert seine Gattin. "Ich will Ostern besondere Eier, eben richtig bunte Ostereier!" Der Osterhase fletschte leicht die Zähne. Das war gemein von Herrn Trautzsch. Schnell überlegte er und gab Frau Edeltraut den Tipp, stattdessen Soleier zu machen. Er würde ihr am Nachmittag noch das Rezept vorbeibringen.
Edeltraut suchte in der
Speisekammer nach drei großen Gläsern für die Soleier und nach den Glasflaschen
für ihren Eierlikör. Als alles abgewaschen war und zum Abtropfen auf einem sauberen Geschirrtuch
stand, kam der Osterhase mit dem Rezept. Edeltraut, die am Küchentisch saß und
Morle das Fell kraulte, stellte ihm ein Glas Zitronenbrause auf den Tisch.
Gemeinsam schrieben sie einen Einkaufszettel.
Am nächsten Morgen klingelte Edeltrauts Wecker zeitiger als sonst. Sie schlug ihre Bettdecke zurück und schlüpfte in ihren roten Morgenmantel. Morle und Gustel schauten ihr nach, als sie später, noch vor dem Frühstück mit ihrem Herbertchen, in der Küche eifrig hantierte. "Was macht sie da?", fragte Morle neugierig. Gustel streckte sich und erzählte vom alljährlichen Osterfest und dem Eierlikör, den das Frauchen selbst braute. "Aber was ein Solei ist, das weiß ich auch nicht", antwortete er. Morle streifte um die Knöchel von Edeltraut Trautzsch und fragte sich, ob Eierlikör etwas Tolles sei.
"Davon solltest du lieber nicht naschen!", warnte der Osterhase, der gekommen war, um sich ein Fläschchen zu mopsen. Neben den abgefüllten Flaschen standen die drei Gläser mit den Soleiern auf dem Küchenfenster. Er sah im Sud die Gewürze zwischen den Eiern schwimmen und war zufrieden.
Am Samstagmorgen, als Herr und Frau Trautzsch am Frühstückstisch saßen, langte Herbert kräftig zu; die Brötchen waren knusprig, der Orangensaft frisch gepresst und sein Lieblingsschinken hauchdünn geschnitten. Und während er voller Freude sein erstes Solei pellte, redete Edeltraut ohne Unterbrechung vom morgigen Besuch, wenn ihr gemeinsamer Sohn Robert mit seiner Frau und den Kindern kommen würde. Herbert lächelte, nachdem er genüsslich in sein Ei biss. "Edeltraut! Diese Eier schmecken ganz wunderbar, sie sind nur ein bisschen, ähm, nun ja .... also, sie sind etwaige unschön. Eben nicht so österlich bunt wie sonst". Sie nahm ihm das angebissene Ei aus der Hand und probierte nun selbst. Ja, das Ei war herrlich würzig. Aber ihr Herbertchen hatte recht, nach Ostern sahen die Eier nicht aus.
Edeltraut kramte in ihrer Kiste für Backzutaten und fand vom letzten Weihnachtsfest die angebrochenen Tuben mit Lebensmittelfarbe. Sie fasste sich ein Herz, band sich eine Schürze um und drückte den farbigen Knetsch aus den Tuben in die drei Gläser zu den Soleiern - Rot, Gelb, Grün, Lila und Blau. Am würzigen Geschmack würde sich ja nichts mehr ändern aber vielleicht an der Farbe der Eier.
Am Nachmittag verschwammen die Farben zu einem einheitlichen Rotbraun, am Abend wurde das Wasser trüb. Herbert beobachtete diesen Vorgang während er seine Runden durch die Küche drehte, schüttelte den Kopf und blubberte vor sich hin "Alles verdorben!" und "Wer soll das denn bloß essen!".
Edeltraut konnte nicht einschlafen und schlich gegen Mitternacht nochmals hinunter in die Küche. Morle und Gustel schauten ihr Frauchen aus müden Augen an und beobachteten stumm, wie Edeltraut Trautzsch in das erste Glas griff und aus dem trüben Wasser ein Ei holte. Entsetzt schaute sie auf das geschälte Ei, dann zu Morle und Gustel. Das Ei war vom Farbgemisch netzartig durchzogen. Edeltraut seufzte. Sie suchte ihr Handy und schickte dem Osterhasen ein Foto.
Edeltraut Trautzsch öffnete eine Flasche Eierlikör und trank einen großen Schluck; wenigstens der Eierlikör war ihr gelungen. Dann holte sie tief Luft und flüsterte zu Morle und Gustel: "FROHE OSTERN".
Auf dem Weg zurück in das Schlafzimmer piepste ihr Handy. Als
Antwort kam vom Osterhasen ebenfalls ein Foto - ein großer Korb, gefüllt mit
bunten Ostereiern und dazu der Satz "Bringe ich morgen für euch mit". Edeltraut lächelte glücklich.
Ende
PS: Danke, liebe Uschi, für das Foto und dein Rezept. Und auch vielen Dank an Bettina.
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