Das vierte Postpaket
Nun meldete sich auch das letzte Paket zu Wort. Es war sehr groß und berichtete von seinem Inhalt und dem Weg aus der Toscana nach Deutschland, in diese Hauptpost. Seine ersten Worte galten dem Paket, das so hübsch weihnachtlich verpackt war: "Buonasera! Soll ich dir etwas verraten? Irgendwie sind wir Nachbarn. Guck mal auf meinen Paketschein.", lachte es. Und tatsächlich! Der Absender des ersten Paketes und der Empfänger dieses Paketes hatten die gleiche Straße und beinahe dieselbe Hausnummer.
Helene Kaiser wohnte mit ihrer Familie direkt neben dem Ehepaar Trautzsch. Nur die nun kahlen Gärten trennten die Häuser. Wann immer sich Helene oder Edeltraut trafen, winkten sie sich zu oder erzählten miteinander. So manches Mal hatte Frau Trautzsch auf die Zwillinge Ada und Albert aufgepasst oder Helene auf andere Weise unterstützt.
Helenes Mann kam oft erst spät aus dem Büro. Als es das erste Mal um die Vorbereitungen zum diesjährigen Weihnachtsfest ging, wollte er wissen, ob die Familie wieder nach Italien zu Helenes Schwester fahren würde. Letztes Jahr waren sie spontan noch am 23. Dezember den langen Weg über den Brenner gefahren, hatten bei Valerie das Weihnachtsfest verbracht und den neuen Mann an ihrer Seite kennengelernt.
"Nein, Schatz, Valerie bleibt in der Toscana. Sie verbringt in diesem Jahr das Weihnachtsfest bei der Familie ihres Antonios in Pienza. Sie sind das erste Mal zu Weihnachten dort. Wir bleiben mit Ada und Albert zu Hause. Unsere Eltern kommen und wir essen traditionell Gänsebraten mit Grünkohl und Klößen, Mutti bringt das Dessert mit. Dieses Jahr lassen wir es ruhiger angehen.", antwortete Helene ihren Mann und versank kurz darauf in ihrem braunen Lederbüchlein auf der Suche nach den Rezepten für die Weihnachtsplätzchen, die die Zwillinge so gern hatten.
Zur gleichen Zeit gab es in der Toscana eine ganz andere Vorfreude. Valerie saß im Bad auf dem Wannenrand in ihrem Casa. Sie schaute erwartungsvoll auf den Teststab in ihrer Hand und mit klopfendem Herzen sah sie überrascht zu, wie sich der zweite Strich dort färbte. Dann legte sie eine Hand auf ihren Bauch und sah lächelnd auf die kleinen Mosaikfliesen an der Wand gegenüber. Die weißen und grünen Quadrate verschwammen vor ihren Augen. Sie waren inzwischen zwar knapp zwei Jahre ein Paar aber Kinder waren nie ein Thema zwischen ihnen.
Und so kam es, dass in der kleinen Stadt Pienza, im Herzen der Toscana, eine Familie vorzeitig ihr Weihnachtsgeschenk bekam. Es war sehr klein, nur ein Ultraschallbild, und doch schenkte es allen eine unglaubliche Freude - den werdenden Eltern und der werdenden italienischen Nonna. Da Valerie deshalb nicht zu Weihnachten in ihre Heimat fahren konnte, schickte sie ihnen stattdessen ein großes Paket, dieses Paket.
*
Das vierte Paket stand also am Heiligen Abend bei Helene unter dem Weihnachtsbaum. Zuerst packten Ada und Albert ihre Weihnachtsgeschenke aus. Wie in jedem Jahr hatten die Zwillinge ihre Wunschzettel an den Weihnachtsmann geschrieben und am Abend vor Nikolaus vor die Tür gelegt, wo Helene sie spät in der Nacht an sich nahm.
Anschließend öffnete die Familie das Paket von Valerie. Es enthielt eine bunte Weihnachtskarte und regionale Produkte aus der Toscana. Valerie wusste, wie sehr ihre Familie in Deutschland all diese toscanischen Spezialitäten genoss - Olivenöl, getrocknete Tomaten, Pasta, Saucen, Käse, Rotwein, Pistaziencreme, Orangenmarmelade und toscanische Mandelplätzchen.
Liebevoll verpackt, und damit sie beim Auspacken nicht sofort entdeckt werden, lagen ganz unten unter all den Köstlichkeiten zwei himmelblaue Babyschuhchen.
Ende
Diese Paketgeschicht rührt das Herz wie schon diese davor. Danke, liebe Frau Keller. Ihnen und den Ihren ein schönes Weihnachtsfest mit ähnlich freudigen Überraschungen. Ihre Christel P.
AntwortenLöschen