Das dritte Postpaket


Das kleinste Paket, ein Päckchen, war die ganze Zeit über sehr still geblieben. Es hatte zugehört, worüber sich die anderen Pakete unterhielten. Nichts an ihm selbst erinnerte an Weihnachten, an etwas Schönes. Keine Weihnachtskarte, kein Geschenkpapier, keine Weihnachtsplätzchen. Lieblos hatte der Absender den Inhalt nach einem Telefonat in die hellgrünen Maispöpsel  getan und das Paket flüchtig, beinahe unleserlich, beschriftet.


Dann war der Mann zur Post geradelt, hatte wortlos  der freundichen
Frau am Schalter zugenickt und rasch wieder die Poststelle verlassen. Was in dem Päckchen war? Lasst es euch erzählen.

*

Henning Baumann war seit drei Jahren Leiter des Bauamtes. Seinen Namen mochte er seit dieser Zeit überhaupt nicht mehr. Er kannte die Späße über ihn, wenn es hieß: "Ach, der Baumann vom Bau(m)amt". Und dann auch noch diese blöde Weihnachtsfeier, auf die sich seine Sekretärin täglich aufs Neue freute. Hätte es nicht gereicht auf den Weihnachtsmarkt zu gehen? Nein, alle würden  hinterher auch noch zu einer Eckkneipe am anderen Ende der Stadt fahren, nur weil die Sekretärin mit einem Haarschnitt aus den 70er Jahren dort wohnt. Dazu diese blöden Schrapelgeschenke. "Bringen Sie doch einfach etwas mit, was Sie nicht mehr brauchen!", hatte ihn die attraktive Frau Grabowski ermuntert, als die beiden in ihrer Mittagspause gemeinsam in der Kantine saßen. Lustlos stocherte Henning Baumann mit der Gabel auf seinem Teller herum und vermischte die Grützwurst mit den Kartoffeln und dem Sauerkraut. Er überlegte. Doch fiel ihm nichts ein.

Am Abend rief er seinen Schulfreund Enrico an. "Ja, klar, ich finde was. Du weißt doch, dass ich nichts wegschmeißen kann", meinte dieser. Ein Griff mit geschlossenen Augen in den Flurschrank, wo alle unnütze Dinge landeten,  beförderte eine Tasse hervor. Die war wirklich Schrapel. "Für den, der alles hat" stand da fettgeschrieben. Besonders unnütz war, dass sich der Henkel des Kaffeebechers im Inneren der Tasse befand.

Und so kam es, dass die Tasse zwischen all den hellgrünen Maispöpseln in dem kleinen Paket unterwegs zu Henning Baumann war und darauf wartete, dass ihm dieses Paket zugestellt werden würde.

*
Die anderen Pakete versuchten das kleine Päckchen zu trösten und aufzuheitern. "Das ist doch gar nicht so schlimm. Daran kann man sich das ganze Jahr übee erfreuen! Im Frühling trinkt man aus der Tasse Tee, im Sommer Kaffee, im Herbst wieder Tee und im Winter Glühwein!", sagte das Amazon Paket allen Ernstes, und fügte hinzu: "Was meint ihr, was ich in den großen Lagerhallen alles gesehen habe, das war noch viel skurriler!". Das kleine Päckchen seufzte. Am Ende behielt das Amazon Paket Recht.

*

Nachdem Henning Baumann das kleine Päckchen in etwas Weihnachtspapier eingewickelt und noch einen Schokoladenweihnachtsmann daran gebunden hatte, fühlte es sich schon sehr viel weihnachtlicher. Auf dem Tisch in der Berliner Eckkneipe wirkte es zwischen den anderen Weihnachtspäckchen der Mitarbeiter vom Bauamt doch sehr festlich.

Als nach einer Stunde würfeln all die Wwihnachtspäckchen ausgepackt waren, wollten sogar manche Kollegen und Kolleginnen von Henning Baumann um dessen Tasse losen. Diese Tasse war nämlich das Beste unter all dem Ausgepackten. Da lagen ein Paar alte Hausschuhe; ein Lippenstift, der zwar neu aber abgebrochen war; eine Matheheft aus der Grundschule des Azubis, eine Flasche Apfellikör aus dem Jahr 1987 oder gar ein Beutel Lockenwickler, bei dessen Anblick bereits die Kopfhaut von Henning Baumann brannte. Kurzum, der Leiter des Bauamtes behielt seine Tasse als Weihnachtsgeschenk.

Vielleicht würde er die Tasse der freundlichen Frau Grabowski schenken, mit der er vorhin Brüderschaft getrunken hatte und die er nun Judith nannte. Vor ihr stand nämlich ein hässlicher Kaktus aus Porzellan. Und da sie ganz in seiner Nähe wohnte, würde er Judith mit dem Auto nach Hause fahren.

Ende

Ob  Henning Baumann und Judith Grabowski vielleicht sogar am Heiligabend zusammensitzen bleibt ihr großes Geheimnis. Die Maispöpsel jedenfalls fanden im Kindergarten der kleinen Tochter von Judith Grabowski großen Anklang.



Ende

Kommentare