Das Märchen der Zauberäpfel vom Apollensberg

 

Westlich der Stadt Wittenberg, im Ortsteil Apollensdorf, da steht er - der Apollensberg! Von seinem Gipfel aus kann man sehen, wie sich die Elbe durch die Elbaue schlängelt. Schon viele hundert Jahre flattern Schmetterlinge über die Streuobstwiese, über seltene Pflanzen, wie einst die Pechnelke, und auf den Steinen sonnen sich Schlingnattern in der Abendsonne. Aber noch etwas gab es dort - die Zauberäpfel vom Apollensberg.

Vor vielen hundert Jahren stand auf dem Apollensberg eine Kapelle. Sie war nicht sehr groß. Wenn durch die Bleiglasscheiben das weiche Licht der Abendsonne schien, spiegelten sich die bunten Farben im Gesicht der jungen Frau, die im Sommer jeden Abend in dem kleinen Garten nebenan Blumen,  aromatische Kräuter und junge Weinreben goss.

Eines Tages entdeckte sie unweit der Kapelle einen Apfelbaum. Er musste dort über Nacht gewachsen sein, denn nie zuvor war ihr der Apfelbaum dort aufgefallen. Die junge Frau streckte sich und pflückte vorsichtig einige rote Äpfel, die sie in ihrem weißen Kleid in die Kapelle trug und nacheinander in eine Schüssel legte.

Auch auf den Äpfeln spiegelten sich nun die bunten Bleiglasscheiben. Herzhaft biss sie in einen makellosen Apfel, den sie zuvor mehrmals in ihrer Hand hin und her gedreht hatte. Er schmeckte süß und saftig. Aber anders als bei herkömmlichen Äpfeln hatte er nur einen einzigen Kern. Das war merkwürdig! Die junge Frau wunderte sich und seufzte. Sie beschloss einen weiteren Apfel zu nehmen und trug ihn mit sich nach Hause zu ihrer kranken Mutter. Während sie den Apfel in dünne Scheiben schnitt, wünschte sie sich, dass ihre Mutter wieder gesund werden würde. Und tatsächlich, wenige Tage später war diese genesen, konnte wieder aufstehen, das Essen kochen und ihrer Arbeit nachgehen. Die Äpfel waren Zauberäpfel!

Noch am selben Tag suchte die junge Frau beide Kerne aus dem Abfall und steckte sie in die Erde auf der Wiese nahe der Kapelle. Aus jedem der Kerne wuchs über Nacht ein neuer Apfelbaum, an dessen Zweigen weitere Zauberäpfel hingen.

Schnell drang die Kunde der Zauberäpfel zu den Bewohnern des Dorfes. Und weil die Menschen viele Wünsche hatten, wuchsen bald viele Apfelbäume auf der Wiese. Den Menschen ging es gut, sie gingen weise mit ihren Wünschen um. So blieb das Dorf von der Pest verschont, auf den Feldern war die Ernte gut und es gab reichlich Fische in der nahen Elbe. Es war, als läge durch die Wünsche der Menschen eine schützende Hand rings um den Apollensberg.  Einzig der Versuch, dass auch in den Gärten der Apollensdorfer aus den Kernen Apfelbäume wuchsen, scheiterte. Dies gelang nur durch die Hand der jungen Frau auf der Wiese bei der Kapelle.

Als auf Beschluss des Kurfürsten die Kapelle abgerissen wurde, ging der erste Apfelbaum ein. All die anderen Apfelbäume, die aus den Kernen seiner Zauberäpfel gewachsen waren, trugen zwar weiterhin Äpfel, verloren aber ihre Zauberkraft. Durch diese Apfelbäume, deren Äpfel von dem Tage an viele kleine Kerne besaßen, entstand die Streuobstwiese.

Die junge Frau wurde älter und erzählte erst ihren Kindern und später ihren Enkeln und Urenkeln davon. Noch viele Jahre fanden sich die Bewohner des Dorfes im Spätsommer im Schatten der Apfelbäume auf der Streuobstwiese zusammen. Dort saßen sie dann an einer langen, festlich gedeckten Tafel und aßen all die  verschiedenen aber leckeren Apfelkuchen, die die Frauen gebacken hatten. Voller Achtung erinnerten sie sich dabei jedes Jahr an die Zauberäpfel vom Apollensberg.


Ende

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