Die Dame mit Hut



Als ich mir im Vorfeld überlegte, wie ich  meine neue Geschichte, die übrigens wieder in Italien spielt, nennen würde, fiel mir sofort dieser Name ein: Die Dame mit Hut. Auch wenn mir sofort klar war, dass manche(r ) von Euch sich diese Dame beim Lesen der Geschichte bestimmt ganz anders vorstellt, als ich sie kennengelernt habe.

Es war an einem Frühlingstag, die Italiener nennen diese Jahreszeit übrigens Primavera und schenken diesem Wort beim Aussprechen eine sehr schöne Melodie. Ich saß auf der Terrasse eines Cafès und nippte an einem Espresso, wie wir in Deutschland sagen, und woran die Kellner sofort erkennen, dass du kein Italiener bist. Die Italiener bleiben nämlich an der Bar stehen, sagen "Un caffè per favore" und trinken ihn im Stehen, während sie mit Nachbarn oder Bekannten sprechen. Dabei legen sie ihren Euro auf die Theke und sind auch gleich wieder verschwunden.

Ich dagegen genoss ihn im Sitzen und freute mich über das neue rote Sommerkleid in der Tüte, die an meiner Stuhllehne hing. Über mir strahlte die Sonne an einem blauen Himmel, der nur hier in der Toscana dieses intensive Blau zu haben schien.

Die auf den ersten Blick unscheinbare Frau fiel mir eigentlich nur deshalb auf, weil genau vor dem Cafè der Henkel ihres Beutels riss und unzählige Zitronen über das alte Pflaster der engen Gasse kullerten. Ich half ihr beim Einsammeln, sie bedankte sich und verschwand gegenüber in einem alten Palazzetto. Die Haustür des Stadthauses quietschte genauso wie die Tür in dem Palazzetto neben dem Cafè, in dem ich für ein paar Tage ein kleines Appartamento gemietet hatte. Wenige Minuten später erblickte ich die Frau an einem Fenster in der zweiten Etage. Wir sind Nachbarn auf gleicher Höhe, nur die Gasse trennt uns, dachte ich und meine Neugier war geweckt. Macht sie hier auch Urlaub oder ist es ihre Wohnung? Hat sie Familie? Was wird sie am Abend kochen? Und die Zitronen? Legt sie die Zitronen in eine Schale auf den dunkelbraunen Küchentisch, wie ich ihn hatte? Später verlor ich jedoch die Gedanken an die Frau und lauschte den Geräuschen der kleinen Stadt im Herzen der Toscana.

Am nächsten Morgen wurde ich durch das offene Fenster von einem typisch italienischen Geräusch geweckt. Jemand fegte vor dem Haus den Fussweg und zwei Frauen sprachen laut miteinander. Erst ein "Buongiorno", dann viele schnelle Sätze, in denen es um das Wetter, ein Kaninchen und um Zitronen ging. Ein kurzes "Ciao, Ciao" und dann kehrte kurz Ruhe ein - bis das Fegen weiter ging. Zitronen? Ich blickte aus dem Fenster und sah die Frau von gestern. Heute trug sie eine braune Bluse und einen schwarzen Rock. Ich schätzte sie auf Mitte sechzig. Während sie energisch den Besen geräuschvoll vor und zurück schob und ich meine Fenster schließen wollte, konnte ich gegenüber vor den Fenstern ihre Wäsche hängen sehen. Wieder lächelte ich. Ich war am richtigen Ort - keine Großstadt, wenig Tourismus und das Italien, von dem ich immer denke, es ist das echte Italien!

Als ich mich auf den Weg zum Samstagsmarkt machte, kam mir ein Auto entgegen und hielt am Rand der schmalen Gasse, genau auf meiner frisch gefegten Höhe. Ein Mann stieg aus und öffnete die quietschende Haustür gegenüber. Er nickte mir zu und ich erkannte meinen Vermieter. "Buongiorno, Signora. Tutto bene?". Nun nickte ich.

Ob sie wohl heute wieder fegt?, dachte ich am nächsten Morgen, doch es blieb still. Nur das Gurren einer Taube und Rufe der Mauersegler konnte ich an diesem Sonntagmorgen hören. Kurz darauf spielte jemand nebenan Klavier und ich lauschte der Melodie.

Mein spätes Frühstück nahm ich an diesem Morgen wieder in meinem Lieblingscafé ein. Die nahen Kirchenglocken verrieten, dass es schon elf Uhr war. Auf meinem Teller lag ein Cornetto con crema di pistacchio, ein Hörnchen mit Pistaziencreme (das ist so lecker, dafür würde ich töten um eines zu bekommen 😄😄. Das müsst ihr unbedingt in Italien probieren.). 


Da sah ich von weitem ein Dame ohne zu wissen, dass es Lucilla war, wie ich später erfuhr. Sie trug ein schwarz-weiß gestreiftes Kleid und einen hellen Hut. Ihr Gang war weich und weiblich und das Tempo ihrer Schritte sehr langsam. Vor dem Cafè blieb sie stehen, nickte dem Kellner zu und nahm an dem kleinen Tisch neben mir Platz. Als sie ihre Sonnenbrille und den Hut abnahm, erkannte ich die Frau, die seit zwei Tagen auf dem Küchentisch vermutlich eine Schale mit den Zitronen stehen hatte. Auch sie erkannte mich, grüsste und bald kamen wir ins Gespräch. Sie erzählte, dass sie aus der Kirche kam und den heutigen Tag mit ihrem Sohn verbringen würde. Eine Stunde später setzte sich mein Vermieter zu uns. Da wusste ich bereits alles über Lucilla, seine Mama.

Lucilla war gebürtige Sizilianerin und hatte ihre Kindheit in einer Kleinstadt verbracht, wo sich jeder kannte. Noch sehr jung wurde sie zur Frau eines Mannes in Palermo, der ihr Vater hätte sein können. Doch die Liebe war stark und der gemeinsame Sohn das große Glück der Beiden. Über die Geschäfte ihres Mannes sprach sie nicht -  und ich fragte nicht danach. Dass sie nach seinem Tod mit ihrem Sohn hier in der Toscana eine neue Heimat gefunden hatte, ließ mich ahnen. Der Palazzetto in dem sie lebte, gehörte ihr, genauso wie der, in dem mir ihr Sohn mein Appartamento vermietet hatte. Das dritte Haus in Südtirol erwähnte sie nur kurz. Von allem aber sprach sie auf jene Art, wie ich sie kennengelernt hatte - freundlich und bescheiden. Das Kleid und der Hut passten eher zu ihrem Leben in Palermo. Wenn sie ihren Sohn ansah und lachte, dann leuchteten ihre Augen, die genauso unergründlich schienen wie das, was sie nicht erzählt hatte - die Dame mit Hut.


Ende








Kommentare

  1. Wunderbar, genauso wie ich mir eine Geschichte zum Sonntagsfrühstück mit Honig und einem Brötchen vorstelle.. LG

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