"Die Tote im Fiaker" - eine Weihnachtsgeschichte

 


Jonas Pichel war noch nicht lange Kommissar beim Wiener Morddezernat. Er war stets darauf bedacht, sich gut zu kleiden, was ihm unter den Kollegen den Beinamen DER SCHÖNE JONAS brachte. Als sein Telefon klingelte, saß er mit seiner Familie am Kaffeetisch. Es war der dritte Advent und seine Mutter just in diesem Augenblick dabei, stolz ihren selbstgebackenen Christstollen aufzuschneiden. Kommissar Pichel hatte Bereitschaft und musste nun los. Er kämmte noch einmal sein braunes Haar, zog seinen ebenfalls braunen Wintermantel an und fuhr zum Tatort im Zentrum von Wien.

Ein Fiaker stand unter einer Laterne im Schnee. Das Pferd davor war ganz still. Neben dem Fiaker hatte ein Taxi angehalten, die Warnblinker leuchteten in der Dunkelheit. Mehrere Polizisten sperrten weiträumig ab. "Weißt du wer Bereitschaft hat?", fragte der jüngere Polizist. "Der schöne Jonas!", antwortete der andere.

"Ich habe nichts angerührt, wirklich!", antwortete Ron, der seine weiche graue Wollmütze in den Händen knetete. Kommissar Jonas Pichel hatte kurz mit dem Taxifahrer gesprochen nachdem er sich die Tote im Fiaker angesehen hatte. 

"Keine äußeren Verletzungen, Jonas!". Der Rechtsmediziner war ein guter Freund des Kommissars; die Beiden fuhren oft mit ihren Frauen übers Wochenende in die Tiroler Berge.

Die Tote trug einen roten Wollmantel. Ihre Pelzkappe und die Handschuhe waren aus feinstem weißem Kunstfell. Sie sah aus, als ob sie schliefe. Ihr schwarzes Haar war perfekt frisiert und der rote Lippenstift rundete das Bild eines schlafenden Schneewittchens ab. Jonas Pichel ahnte schon jetzt, dass in wenigen Stunden die Überschriften in den Zeitungen genauso klingen würden.

"Weiß jemand wo der Kutscher ist?", fragte Jonas Pichel die inzwischen eingetroffen Kollegen. Aber außer dem Taxifahrer und der Toten war niemand am Tatort gewesen, als die Streife eintraf.

Kommissar Pichel und seine neue Assistentin fuhren zur Zentrale des Kutscherfahrdienstes. Dort bekamen sie einen heißen Kaffee Melange und die Anschrift des Mannes, der den Fiaker gefahren hatte. Der Kutscher wohnte in einem Altbauviertel, in dem die Miete nicht ganz so preiswert war.

Bevor Joseph Moser die Wohnungstür öffnete, klapperte die Kette an seiner Tür. Er holte tief Luft und stand Kommissar Pichel und einer jungen Frau gegenüber. Die Beiden wiederum starrten einen Weihnachtsmann an. Durch sein bereits weißes Haar und seinen weißen Vollbart sah Joseph Moser wesentlich älter aus als er war. Aufgeregt wollte er die Gäste hereinbitten, als eine schrille Stimme nach ihm rief: "Hey, Moser, mach die Tür zu, es zieht. Hast du nichts Besseres zu tun als da rumzustehen?". Joseph Moser entschuldigte sich für seine Frau, machte Platz und ließ die Fremden herein.

Ungefragt begann der Kutscher zu berichten: "Ich weiß überhaupt nicht was passiert ist. Plötzlich war die junge Frau ganz still. Aber warten Sie bitte. Ich erzähle der Reihe nach. In der Weihnachtszeit bin ich immer als Weihnachtsmann verkleidet auf dem Fiaker unterwegs. Manchmal werde ich nämlich durch mein Aussehen nach einer Fahrt auf dem Fiaker gleich noch als Weihnachtsmann für eine Weihnachtsfeier gebucht. Das Geld spare ich heimlich, nur für mich. Meine Frau darf das nicht wissen.

Jedenfalls stand diese Frau plötzlich an meinem Fiaker und bat mich, dass ich sie mitnehme. Sie war so schön, ein fesches Madl halt - und doch sah sie so unendlich traurig aus. Ich wollte sie aufmuntern und habe ihr eine von meinen Mozartkugeln angeboten. Und dann, ja dann ....", Joseph Moser weinte.

Jonas Pichel wählte die Nummer der Rechtsmedizin und erkundigte sich bei seinem Freund, ob die Frau möglicherweise vergiftet wurde. Dieser konnte bereits nach der ersten Leichenschau diesen Verdacht bestätigen. "Da schau her! Woher hatten Sie die Mozartkugeln bitteschön, Herr Moser?".

"Wieso? Warum fragen Sie mich das? Ich habe doch nichts getan! Meine Frau hatte mir am Morgen ein paar Mozartkugeln mit in meine Brotdose hineingelegt. Schauen Sie, Herr Kommissar. Hier sind noch die anderen. Sie müssen wissen, das Weihnachtsmannkostüm sitzt an mir  sehr eng und ich muss ein paar Kilo abnehmen, deshalb habe ich die anderen Mozartkugeln nicht gegessen!", flüsterte Joseph Moser, dem es in diesen Moment dämmerte. "Oh mein Gott, nein!", rief er noch, dann weinte der falsche Weihnachtsmann. Jonas Pichel erhob sich zeitgleich mit der jungen Frau. Sie gingen in die Küche und führten Frau Moser ab.

"Nehmen Sie sie mit und bitteschön behalten Sie sie!", sagte Herr Moser erleichtert und blickte hinaus in die Dunkelheit vor dem Haus. Einzelne Schneeflocken tanzten im Licht der Laterne.

Kommissar Pichel nahm seine Frau länger als sonst in die Arme, als er gegen Mitternacht nach Hause kam. 'Verstehe einer die Frauen!', dachte er und nahm verwirrt den Duft ihres Haares noch viel intensiver wahr als sonst. "Was hältst du von einer Woche Urlaub in London?", fragte er  vorsorglich und dachte verwirrt darüber nach, ob er je Angst vor Pralinen in seiner Brotdose haben müsse. Seine Frau jedoch hielt mit strengem Blick einen Brief in der Hand, der zwar an ihn adressiert aber bereits von ihr geöffnet worden war. "Zuvor bist du mit einem Kommissar Egli aus der Schweiz und einem Kommissar Karlsson aus Norwegen bei einem Seminar in Italien. Und Jonas, es ist auch eine Frau dabei! Eine Commissaria Barbara Barbera! Sag mal, kennst du die etwa?" Jonas Pichel seufzte.




Ende

 

 

 

 

 

 

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