Weihnachtszeit bei Commissaria Barbara Barbera

 


Schon am frühen Morgen wusste die Commissaria, dass dieser Tag sich nicht so gestalten würde, wie sie es sich für einen gemütlichen Adventssonntag gewünscht hätte. Gern wäre sie zu Hause geblieben oder vielleicht auch einmal wieder in die Toscana zur Familie gefahren; hätte sich von ihren Eltern verwöhnen lassen und mit der Familie zusammengesessen, mit ihnen Zeit verbracht. Vielleicht hätten sie einen Bummel über den Weihnachtsmarkt gemacht und sie hätte dort vielleicht sogar endlich Weihnachtsbaumkugeln für ihren Weihnachtsbaum in Macerata gekauft. So viele VIELLEICHT und HÄTTE. Denn sie konnte nicht weg, sie hatte Dienst in der Questura.

Während sich die Commissaria das schwarze halblange Haar bürstete, blickte sie in ihr Spiegelbild. Das volle Haar hatte sie von ihrem Vater geerbt, dessen Familie aus der Toscana stammte. Ihre blauen Augen dagegen glichen denen ihrer Mama und ihrer deutschen Nonna.

Heute jedoch blickten ihre blauen Augen sie müde aus dem Spiegel an. Die Weihnachtsfeier mit ihrer Abteilung war bis spät in den Abend gegangen. Weil sich niemand von den Kollegen gefunden hatte die Weihnachtsfeier zu organisieren, hatte Barbara kurzerhand mit Patricia und Giorgio in der Trattoria fünf Tische zu einer Tafel  zusammengeschoben. In der Küche ihrer gemütlichen Wohnung stand die übliche Flasche Rotwein, ein "Barbera d'Alba". Wie jedes Jahr bekam sie eine solche Flasche zur Weihnachtsfeier geschenkt und die Kollegen lachten über diesen längst überholten Spaß.


Der Klingelton ihres Handys verriet ihr, dass es die Zentrale in der Questura war. "Commissaria Barbara Barbera. Pronto?", sagte sie müde und hörte ihrer Kollegin aus der Zentrale zu: "Ein Toter am Piazza Grande, beeilen Sie sich, Commissaria! Aber wundern Sie sich nicht, dieses Jahr wird es wohl keine Weihnachtsgeschenke geben. Der Tote ist ein Weihnachtsmann!".

Als Barbara Barbera am Piazza Grande auf dem Seitenstreifen parkte und das Blaulicht ausstellte, sah sie hinter der Absperrung einen Mann liegen, dessen roter Mantel die gleiche Farbe hatte, wie das Blut auf seinem weißen künstlichen Bart. Statt eines Ausweises hatte er viele Ausweise bei sich - von Männern UND Frauen. Außerdem waren noch leere Geldbörsen  in dem Jutesack, den ihr ein smarter Carabinieri reichte: "Sehen Sie, Commissaria, hier sind auch zwei deutsche Pässe, eine Edeltraut Trautzsch und eine Helene Hellmann. Ich habe bereits überprüft, dass von beiden Frauen eine Anzeige wegen Diebstahls vorliegt. Und hier ist auch deren momentane Adresse im Palazzo Cortesi".

Im Nachhinein konnte Commissaria Barbara Barbera nur noch schmunzeln. Der Tag hatte so nüchtern begonnen und ging so stimmungsvoll zu Ende. Diesen Fall innerhalb eines Tages zu lösen und am Abend mit neuen Freunden bei alten Freunden darauf anzustoßen, das war wirklich etwas Besonderes.

Was war passiert? Der smarte Carabinieri hatte die Commissaria zum Palazzo begleitet, wo Helene, ihre Schwester und Edeltraut Trautzsch ein paar Tage Urlaub machten. Helenes Schwester Valerie war vor zwei Jahren in die Toscana gezogen und zu dritt verbrachten die Frauen ein paar Tage in den Marken, fernab vom heimatlichen Weihnachtstrubel. Auf dem hiesigen Weihnachtsmarkt hatte der als  Weihnachtsmann verkleidete Dieb die drei Frauen bestohlen. Edeltraut Trautzsch hatte es erst gar nicht bemerkt, war sogar ganz verzückt von seinem "Buongiorno, mia Cara!". Später hatte sie ihre Handtasche nach ihm geworfen und ihn damit zu Fall gebracht. Aber der falsche Weihnachtsmann verschwand kurz danach in der Menge.

Commissaria Barbara Barbera berichtete bei einer Tasse Kaffee vom Tod des vermeintlichen Weihnachtsmannes. Edeltraut Trautzsch wurde ganz blass. Sie fühlte sich schuldig und sah sich schon Weihnachten in einem italienischen Gefängnis, dachte sie doch, der falsche Weihnachtsmann wäre an den Folgen ihres beherzten Eingreifens gestorben. Aber der Carabinieri konnte die ältere deutsche Dame trösten. Es gab nach der Anzeige dieser drei Frauen noch weitere Anzeigen von bestohlenen Weihnachtsmarktbesuchern, die sogar von zwei falschen Weihnachtsmännern gesprochen hatten. Ein Streit zwischen den Beiden war später eskaliert, was auch die leeren Geldbörsen im Jutesack des toten Weihnachtsmanns erklärte.

Nach Dienstschluss war die Commissaria erleichtert zu ihren Freunden in die Trattoria gefahren, wo sie Helene, Valerie und die rüstige Edeltraut Trautzsch zufällig wieder traf. Edeltraut war dabei, sich von Giorgio in seine wunderbaren Kochkünste einweisen zu lassen und erklärte ihm im Gegenzug, wie sie zu Hause ihre leckeren Rindsrouladen für ihren Herbert wickelte und dazu Klöße mit Grünkohl servierte. Dabei hatte sie Patricias und Giorgios Katze auf dem Schoss, die sich sichtbar wohl bei ihr fühlte. "Signora Edeltrautzsch, bitte sagen Sie mir doch noch einmal genau, wie das geht mit dem Senf auf Ihren Rouladen", hörte Barbara Barbera den erhitzten Giorgio sagen. Und schon waren die Beiden zum Probekochen für den morgigen Tag verabredet. Patricia saß mit Helene und deren Schwester bei einem Vino Rosso und erzählte von der bis vor kurzem noch scheuen Katze und wie diese ihnen im Frühjahr zugelaufen war. Als sie ihre Freundin an der Eingangstür stehen sah, winkte sie die Commissaria heran und bat ihr ein Glas Vino an.

Später erzählte Edeltraut Trautzsch von ihrer Leidenschaft Tango zu tanzen und wie sie die letzten zwei Jahre jeweils in der Weihnachtsnacht heimlich mit dem Weihnachtsmann Tango tanzte, während ihr Herbertchen tief und fest schlief, und wie der Nikolaus dabei ihre selbstgebackenen Plätzchen naschte. Und sie erzählte auch, wie es dazu gekommen war, weil der Schlitten mit dem Weihnachtsmann, dem Nikolaus und der Weihnachtsmaus Amanda den Weg zurück zum Nordpol nicht fand. Alle lachten über diese heitere Geschichte und Commissaria Barbara Barbera tippte darauf, dass Edeltraut Trautzsch der Vino "Barbera d'Alba" etwas zu Kopf gestiegen sei.

Noch am Morgen hatte sie sich über die Namensgleichheit mit ihrem Lieblingswein aus dem Piemont geärgert. Doch nach diesem Tag, der mit all den wunderbaren Menschen endete, fühlte sie sich entspannt. Sie aßen gemeinsam Giorgios Pasta fatta in Casa, hörten dazu italienische Weihnachtslieder und später argentinische Tangomusik und stießen mit einem lauten "Salute" auf diesen unvergesslichen Abend an.

Auch Commissaria Barbara Barbera hatte die Einladung zum Seminar auf ihrem Esstisch liegen. Aber bis dahin war noch Zeit, jetzt stand das Weihnschtsfest vor der Tür und sie freute sich auf ihre Familie in der Toscana.


Ende



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