"(K)eine fast normale Geburtstagsfeier....."


Die noch warme Oktobersonne schien durch die Butzenscheiben in die große Diele der Fabrikantenvilla aus den 1920er Jahren. Das zweigeschossige Haus aus roten Klinkersteinen stand unweit der Fabrik, in der Hausschuhe für Erwachsene und Kinder hergestellt werden. In dritter Generation lebten Beate und Jürgen in diesem großen Haus, inzwischen allerdings alleine. Die Kinder waren groß und hatten ihre eigenen Familien gegründet.

Beate blickte über die eingedeckte Kaffeetafel. Sie zählte sechs Gedecke und an der Stirnseite das Hochstühlchen für ihre kleine Enkeltochter. Erst am Abend würde sich das Haus füllen. Und so hatte sie ihren Bruder und seine Frau bereits zum Kaffee eingeladen, dazu die  befreundeten Nachbarn Heinz und Helga, und wenn die kleine Josi ausgeschlafen hätte, würden ihr Sohn und ihre Enkeltochter dazukommen.

Die große Flügeltür zum Wohnzimmer stand weit offen. Das Originalglas war noch gut erhalten und der Rahmen aus dem gleichen Holz wie das gut gepflegte Parkett. Das schrille Klingeln des Telefons riss Beate aus ihren Gedanken. Mit schnellen Schritten eilte sie zum Hörer, doch Jürgen war schneller. Sie hörte ihn freudig eine Einladung aussprechen und erfuhr kurz darauf, dass nun ein entfernter Cousin von ihm mit seiner Frau zum Kaffee kommen würde - und dazu vier ihrer Freunde.

Mit geübtem Handgriff verlängerten die Beiden die Kaffeetafel, indem sie ein Auszugsbrett des Holztisches hochklappten. Jürgen holte sechs weitere Stühle und Beate sechs zusätzliche Gedecke.

Als es an der Eingangstür klingelte, standen ihr sechs Fremde gegenüber. Beate kannte den entfernten Cousin ihres Mannes noch nicht, auch nicht dessen Frau und schon gar nicht die zwei anderen Paare. Alle gratulierten Beate; und Jürgen, der aus der Küche kam, freute sich, seine Verwandtschaft nach so vielen Jahren wiederzusehen.

Kurz darauf klingelte es erneut. Ihr Bruder und seine Frau standen in der Eingangstür und überreichten Beate eine wunderschöne Schokotorte mit rosafarbenen Rosen aus Marzipan. "Wer sind die Leute?", fragte ihre Schwägerin, als sie ihren Mantel an die Garderobe hängte. Doch Beate lachte und zuckte mit Schultern. "Wie die alle heißen, weiß ich nicht mehr. Diese Reisegruppe ist spontan vorbeigekommen, sie sind übers Wochenende ganz in der Nähe."

Alle nahmen Platz und während Beate die ersten Stücke der Torte anschnitt, klingelte es erneut. Zu ihrer Überraschung betrat nun ihre Schwester Gundi aus Bayern das Esszimmer. Deren Mann hielt eine weitere Torte in den Händen - der leckere Quarkssahnekuchen duftete köstlich. Beate musste sich kurz setzen und weinte ein bisschen vor Freude. Als sie dann ein weiteres Auszugsbrett hochklappte, klingelten die Nachbarn. Das ältere Paar schaute etwas verwundert in die Runde. "Du hast uns extra zum Kaffee eingeladen damit du nicht allein feiern musst - aber das Haus ist doch voll, Beate!", kommentierte Heinz und setzte sich mit Helga zu Jürgen. Beate schnitt die Tortenstücke nun wesentlich kleiner, falls noch mehr Überraschungsgäste kämen. Dann suchte sie sich an der Kaffeetafel einen freien Platz. Der Kuchen schmeckte allen - ihrer Familie, ihren Nachbarn und den ihr bis vorhin noch fremden Leuten.

Wieder ging die Klingel und Kolja übergab seiner Mutter die kleine Josi. "Wer ist das alles, Omi?", flüstere sie noch ganz verschlafen. "Ähm, das ist, ja also, etwas Familie von Opa und deren Freunde."

Nach dem Kaffee knallten die Sektkorken. Als Beate die Sektgläser füllte, fragte eine blonde Frau aus der Reisegruppe: "Wie alt bist du heute eigentlich geworden, Beate?" und beide lachten über die lustige Situation. In diesem Moment erwähnte ein Freund des Cousins ihres Mannes, dass er heute ebenfalls Geburtstag habe. Nach dem Anstoßen stimmte die lustige Runde ein Geburtstagsständchen für die beiden Geburtstagskinder an. Nur der ausgestopfte Hirschkopf an der Wand in der Eingangshalle rollte mit den Augen. Solch ein Durcheinander war er nicht gewohnt......

Ende

PS: Nur den Rahmen dieser Geschichte sowie die Namen der Personen habe ich verändert - der Inhalt jedoch ist original. Ich war dabei! Nun ja, der Hirschkopf ist meiner Fantasie entsprungen, das hat so gut gepasst 😄.

Kommentare

  1. Ich war ebenfalls dabei und kann die Ereignisse bestätigen! 😀

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  2. Ich war auch dabei und kann bestätigen, dass sich die Geschichte so zugetragen hat - es war so amüsant!

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  3. Ich wohne in diesem Haus und habe diese kleine Geschichte mit Freude gelesen.

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