Commissaria Barbara Barbera und der Trüffelmord


Anfangs bewegten sich die buntgefärbten Blätter der Korkeichen noch langsam in der Morgensonne. Der Herbst hatte die wunderschöne Natur eingefärbt. Mario und Francesco, zwei Wilderer und ziemlich beste Freunde, liefen mit ihren Jagdhunden auf dem unebenen Waldboden in östliche Richtung. Nebel durchzog nun das Unterholz und es war ganz still. Doch für all das Schöne hatten die beiden Männer kein Auge. Sie waren unterwegs um Kaninchen zu schießen und nach Trüffeln zu suchen. Im Oktober war die Zeit dafür perfekt.



Francesco hatte das Jagdgewehr geschultert und seinen italienischen Jagdhund, einen Spinone Italiano, dicht bei sich an der Leine. In dem weichen Bart des Mannes hatten sich die typischen feinen Wassertropfen aus dem Nebel verfangen. Mario ging ihm voraus, als plötzlich dessen Jagdhund etwas zu wittern schien. Der blieb kurz stehen, riss sich plötzlich los und rannte los. "Kaninchen? Fasan? Oder Trüffel? Was meinst du, mein Freund?", fragte er und blickte zu Francesco. Dann pfiff er nach seinem Hund, doch dieser war wie vom Erdboden verschwunden.

Plötzlich ging ein Schuss ganz in der Nähe. Die Männer blieben erstarrt stehen. Dann folgte das Echo eines zweiten Schusses. Francesco Hund wurde unruhig und als er von der Leine getrennt war, rannte auch er los. Die zwei Wilderer folgten ihm bis zur Lichtung. "Dein Hund hat Trüffel gefunden, sieh nur." Das Tier lag still auf dem Boden, wie immer wenn er Trüffel witterte. Doch heute war etwas anders. "Idiota, der ist tot, erschossen", antworte Mario und blickte sich ängstlich um. Der Schütze musste noch ganz in der Nähe sein. Francesco zuckte zusammen, als er sah, was bzw wen der zweite Schuss nicht verfehlt hatte.
"Oh Dio mio, Mario. Das ist Signore Rossi, der Wildhändler, an den wir schwarz unsere Ware verkaufen. Hauen wir hier ab!"

Commissaria Barbara Barbera stand an diesem goldenen Herbstmorgen auf der Terrasse der Trattoria ihrer Freunde Patricia und Giorgio und freute sich auf einen Kaffee mit den Beiden. Eine Angewohnheit, auf die sie sich jeden Samstagvormittag freute. Raus aus der Stadt Macerata, in der sie unweit der Questura eine Wohnung besaß. Knapp eine Viertelstunde später war sie in der Trattoria der Beiden, umgeben von der herrlichen Natur der Marken.

Patricia kam ihr lächelnd entgegen. Sie hielt die noch vor wenigen Tagen scheue Katze im Arm, die sich schnurrend an sie schmiegte. Die beiden Frauen, die sich sonst bei ihrer Begrüßung umarmten, standen nun beieinander und Patricia erzählte, wie die Katze vor zwei Tagen beschlossen hatte, sich endlich streicheln zu lassen. Genau in diesem Moment hörten die Freundinnen einen Schuss aus dem nahen Wald und kurz darauf einen weiteren. Beide erschraken sie und hielten inne. Die Katze sprang von Patricias Arm und verschwand.

"Die Trüffelsaison ist eröffnet, es ist Herbst. Ich habe die Speisekarte schon umgestellt. Morgen kommt Signore Rossi, unser Wildhändler.", kommentierte Giorgio, der sich zu Barbara und Patricia gesellt hatte. Die Commissaria schaute ernst in die Richtung aus der die Schüsse gekommen waren. Kurze Zeit später klingelte ihr Handy und sie erfuhr von einem Toten im Wald unweit der Trattoria. Ein anonymer Anrufer hatte in der Questura den genauen Ort angegeben und aufgelegt.

Noch während der Tote auf dem Weg zu Dottore Facchetti in die Rechtsmedizin war, hatte Commissaria Barbara Barbera den Namen und die Adresse des Anrufers bekommen. Die Kollegen aus der IT Abteilung hatten gute Arbeit geleistet. Francesco saß mit Mario am Küchentisch, sie tranken auf den Schrecken einen Grappa. Und so erfuhr die Commissaria, um wen es sich bei dem Toten handelte, der keinerlei Papiere bei sich trug. "Mit einer Anzeige wegen Wilderei müssen Sie trotzdem rechnen! Alle beide! Und ich brauche Ihre Jagdgewehre für die Spurensicherung!" forderte sie die sichtlich geschockten Männer auf. Dann machte sie sich auf den Weg zum Haus des Toten.

Signora Rossi öffnete die Eingangstür zu einem Haus, das die Commissaria an ihr Elternhaus in der Toscana erinnerte. Mit einem Kloß im Hals überbrachte ihr Barbara Barbera die traurige Nachricht. Sie setzten sich in den Garten und die Commissaria betrachtete das allergisch gerötete rechte Auge der Frau. Sie war um die Vierzig und die Commissaria hatte den Eindruck, dass Signora Rossi schon vor dem Tod ihres Mannes keine glückliche Frau war.

Stunden später erreichte Barbara Barbera die Rechtsmedizin und Dottore Facchetti übergab ihr das Protokoll der Autopsie. Die Mordwaffe muss ein Gewehr mit Zielfernrohr gewesen sein, dass über eine weite Entfernung hinweg abgefeuert worden war. Die Bleikugel aus der Brust des Toten war einem solchen deutlich zuzuordnen.

Nachdenklich rührte die Commissaria am nächsten Morgen in ihrem Kaffee und sah zu, wie sich die Milch darin langsam verteilte; wie erste Bilder entstanden und dann aus Schwarz und Weiß ihre Lieblingsfarbe entstand - so, als ob es vorher keine andere Farbe gegeben hätte. Schwarz und Weiß. Es gibt noch so viel drumherum, wie in diesem Fall. War es ein Streit um Wildhandel des Toten? Giorgio hatte Signore Rossi als freundlich und korrekt beschrieben. Hatte er Feinde? Was war mit seiner Frau? Gab es vielleicht eine andere Frau? Sie beschloss am Nachmittag noch einmal zu Signora Rossi zu fahren.

In der Questura lag die Auswertung der Bücher und Konten des Toten auf ihrem Schreibtisch. Die Kollegen der Einnahmeagentur (das italienische Finanzamt) konnten keine Auffälligkeiten feststellen. Und doch hatte der Wildhändler mit dem Fleisch von Wilderern gehandelt. Auch sein Handel mit Trüffeln florierte. Die Commissaria beschloss nicht bis zum Nachmittag zu warten, sie griff zum Telefon und meldete ihren Besuch bei Signora Rossi an.

Im Gegensatz zu gestern erschien ihr die Witwe heute sehr unsicher, als sie neben ihr in deren gemütlicher Küche stand. Die Allergie an ihrem rechten Auge war lokal begrenzt geblieben und die Rötung schien in ein Blau überzugehen. Fast sah es aus wie ein kreisrunder blauer Fleck. Die Commissaria stutzte: "Scusa, haben Sie einen Waffenschein, Signora Rossi? Können Sie mit einem Gewehr umgehen?".

Signora Rossi hielt sich mit der einen Hand ein Glas kaltes Wasser an die Stirn und mit der anderen Hand an der Spüle fest. Leise fragte sie: "Commissaria, essen Sie gern Trüffel?". Als Barbara Barbera ihre Frage bejahte, wendete sich Signora Rossi ab und dann sprudelte es nur so aus ihr heraus: "Wissen Sie, Commissaria, ich bin ein Genussmensch. Ich liebe Düfte - den Herbst, den Duft von Quitten und von feuchtem Laub. Ich liebe den Geruch des Waldes. Ich mag den Duft des Sommers im Garten. Oder Kaffeebohnen. Mein Parfüm. Aber der stechende Geruch von Trüffeln, speziell der Sorte, die mein Mann mochte - ich mag ihn nicht. Im Herbst ist es ganz besonders schlimm. Dann roch mein Mann sogar selbst wie ein Trüffel. Und ständig musste ich ihm Gerichte mit Trüffeln zubereiten: Trüffelöl, Trüffelbutter, Trüffelsalz, Trüffelomelett, Trüffelravioli, Fasan mit Trüffelsauce, Kalbspastete mit Trüffeln .... die Liste ist ewig lang. Die ganze Speisekammer steht voll mit eingelegten Trüffeln. Irgendwann habe ich keine anderen Gerüche mehr wahrgenommen - keine Quitten, keine Kaffeebohnen, kein Parfüm, keinen Wald  ....  Deshalb habe ich den Herbst gefürchtet. Dann hat mein Mann auch noch Sommertrüffel für sich entdeckt!" Signora Rossi schwieg einen Moment. "Früher mochte ich Pasta mit einem Hauch von geriebenem Trüffel, am liebsten den aus Alba. Vor zwei Tagen hatten wir einen füchterlichen Streit. Stolz hatte mein Mann eine Kiste mit Flaschen eines besonderen Raumduftes mitgebracht. Erst dachte ich, es war mir zu Liebe, um den Geruch der Trüffel zu vertreiben. Doch der Raumduft war ein speziell entwickelter Trüffelduft. Dem musste ich ein Ende setzen! Aber glauben Sie mir, um den Jagdhund des Wilderers Mario tut es mir ehrlich leid! Ich habe ihn heute Morgen getroffen und konnte ihm nicht in die Augen sehen! ".

Der Commissaria, die am Abend in der Trattoria die Trüffelgerichte auf Giorgios Speisekarte studierte, gingen die Worte der verbitterten Frau nicht aus dem Kopf. Nach einer Portion Trüffelrisotto erzählte sie Patricia und Giorgio von der Aufklärung des Falls. Giorgio erhob sich und holte einen frischen Trüffel aus der Küche. Alle drei rochen an ihm:


Die kleine Katze der Freunde saß erst still da, als ob sie zuhörte und zuschaute. Doch dann stand sie auf, zwängte sich durch das Terrassengeländer und verschwand aus dem Blick von Commissaria Barbara Barbera.




Ende


Kommentare