Das erste Weihnachtspaket 🎁🎄🕯


Edeltraut Trautzsch stand im Garten und rauchte heimlich eine Zigarette. Das tat sie nur selten - aber wenn, dann mit großer Freude. Alles war für das nahe Weihnachtsfest vorbereitet und Frau Trautzsch entspannte sich nun. Am schlimmsten war der Einkauf heute Vormittag - Himmel und Menschen waren unterwegs. Die Einen suchten letzte Geschenke und die Anderen hatten wohl Angst über Weihnachten zu verhungern und kauften deshalb den Supermarkt leer. Morgen würde Frau Trautzsch's Sohn mit seiner Familie kommen und für ein paar Tage bleiben. Sie lächelte bei dem Gedanken, dass das Haus in zwei Tagen wieder gefüllt sein würde.


Als sie auf dem Weg ins Haus war, klingelte es am Hoftor. Es war der Postbote, der ein Paket unter dem Arm trug. Im letzten Sommer hatte dieser endlich begriffen, dass Edeltraut Trautzsch nicht "Edeltrautzsch" heisst. Und nach dem zweiten Eierlikör mit Edeltraut Trautzsch's Freundinnen im Garten, konnte er dann auch endlich ihren Vor- und Zunamen richtig aussprechen. Allerdings stand nicht Edeltraut Trautzsch als Empfänger auf dem Paket sondern der Name einer anderen Frau - Valerie Hellmann, die Schwester ihrer Nachbarin Helene. Das Paket konnte anscheinend in Italien nicht zustellgestellt werden und war zu Helene Hellmann zurückgeschickt worden, die jetzt jedoch nicht zu Hause war.

"Natürlich nehme ich das Paket für Frau Hellmann an, junger Mann.", säuselte Frau Trautzsch und strich sich die Bluse über ihrem üppigen Busen glatt. "Sicher ist die arme Frau Hellmann noch mit den Zwillingen im überfüllten Supermarkt.", schlussfolgerte sie.

Am späten Nachmittag saß Frau Trautzsch mit ihren drei Freundinnen aus dem Lesezirkel im heimischen Wohnzimmer. Herr Trautzsch hatte wie immer das Weite gesucht, solange das Beisammensein der vier Freundinnen in seinem Haus oder seinem Garten stattfand. Über die Jahre war es zu einer kleinen Tradition  geworden, dass sich die Rentnerinnen in der Woche vor Weihnachten nacheinander bei sich zu Hause trafen, sich dann ihre geschmückten Weihnachtsbäume zeigten und selbstgebackene Kekse und Butterstollen schmecken ließen.

Heute knabberten sie bei Edeltraut Trautzsch kleine Anisplätzchen und tranken deren selbstgebrauten Glühwein. Dieser hatte inzwischen die Wangen der vier Damen tief rot gefärbt und ihre Temperatur steigen lassen. Sie kicherten und erzählten sich überschwängliche Geschichten aus ihrer Jugend. Vor allem von ihren damaligen Konfektionsgrößen, die nach jedem Glühwein umso kleiner wurden. "Ach Edeltraut, weißt du noch ....", so begannen die Geschichten dann.

Als es draußen bereits dunkel war und Frau Trautzsch in der Küche grad mit einer großen Kelle den dritten Glühwein aus dem Topf in die Gläser füllte, klingelte es.  Helene stand mit ihrem Weihnachtspäckchen für Frau Trautzsch am Hoftor. "Kindchen, du siehst ganz durchgefroren aus. Komm auf einen Sprung herein, ich habe deinem Mann schon zugewunken, als er vorhin von der Arbeit kam. Warst du heute mit den Zwillingen im Supermarkt?  War es noch so voll?  Ach meine Liebe, ich habe es geahnt. Und ich habe ja noch eine Dose mit meinen selbstgebackenen Weihnachtsplätzchen  für euch - uuuuund ein Paket, das vorhin bei uns abgegeben wurde....", schnatterte Edeltraut Trautzsch angeheitert drauf los und hakte sich bei Helene auf dem Weg ins Haus unter. Und als Helene eine Stunde später durchgewärmt und heiter nach Hause ging, lag das Geschenk für Edeltraut Trautzsch bereits unter deren Weihnachtsbaum.

Dort blieb es noch weitere zwei Tage bis zur Bescherung am Heiligabend im Kreise der Familie Trautzsch liegen. Die Kinder sangen Weihnachtslieder und spielten später mit ihren neuen Geschenken, während Edeltraut Trautzsch gedankenversunken das viele Geschenkpapier glattstrich. Sie dachte an die Weihnachtsnacht letztes Jahr, als sich der Weihnachtsmann mit dem Nikolaus im Nebel verfahren und die fassungslose Frau Trautzsch mitten in der Nacht nach dem Weg zur Seestraße gefragt, wie der Weihnachtsmann mit Edeltraut in ihrer Küche Tango getanzt und wie der Nikolaus ihren Glühwein probiert hatte. Das alles geschah, während Herr Trautzsch selig im Ehebett vor sich hin schnarchte und von all dem nichts mitbekam. Ja, daran dachte sie jetzt und sah am Weihnachtsbaum vorbei aus dem Fenster. Leise fielen die ersten Flocken vom Himmel.

Frau Trautzsch bekam ein neues Bügeleisen von Herrn Trautzsch geschenkt. Da sie wie jedes Jahr ein praktisches Geschenk von ihrem Mann erahnte, hatte sie bereits vor der Bescherung in der Küche einen Glühwein getrunken. Nun lächelte sie freundlich und entspannt mit dem Bügeleisen in der Hand, und Herr Trautzsch war sich sicher, für seine Edeltraut das richtige Geschenk gefunden zu haben.

Umso mehr freute sich Frau Trautzsch, als sie das in rotes Geschenkpapier verpackte Weihnachtspäckchen von Helene auspackte. Es enthielt Edeltrauts Lieblingsschokolade und eine neue, liebevoll verpackte CD mit jener Tangomusik, die Frau Trautzsch so gern hörte.

Es war weit nach Mitternacht. Das Ehepaar Trautzsch schlief, als Edeltraut plötzlich hochschreckte. Sie hatte ein Poltern gehört. Flink zog sie ihren roten Morgenmantel über und schlich zum Fenster. Leise zog sie die Gardine zur Seite und sah im verschneiten Vorgarten neun Rentiere stehen, einen großen umgestürzten Schlitten, dazu den Nikolaus, der sich den Schnee von seinem Mantel klopfte - und den Weihnachtsmann, der ihr erst zuwinkte und danach mit angedeuteten Tangoschritten auf das Hoftor zuging ...



Ende

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