Eine Apfelgeschichte für Groß und Klein


An einem sonnigen Tag im September saß Frau Trautzsch in ihrem Garten und freute sich darauf, einen Kuchen für das Wochenende zu backen. Nach diesem Rezept hatte schon deren Großmutter ihre leckeren Apfelkuchen gebacken. Dieser hatte stets einen weichen Teig wie Watte, war aromatisch von den Äpfeln und süß von den Rosinen und Nüssen darin.

Vor ihr stand eine weiße Emaille Schüssel mit einem dunkelblauen Rand. In dieser lagen viele rotbäckige Äpfel, die sie am Morgen gepflückt hatte.

Während Frau Trautzsch das Küchenmesser ansetzte, schnurpste sich Karli, ein weißlicher Wurm, durch einen der rotbäckigen Äpfel. Er blinzelte, als es um ihn herum hell wurde. Knapp neben ihm glitt das Küchenmesser durch das Kerngehäuse. Frau Trautzsch legte ihr kleines Messer zur Seite und schaute auf das Innere des Apfels.

"Hallo, kleiner Freund. Du nascht mir doch wohl nicht meine ganzen Äpfel weg!", sagte sie lachend. Frau Trautzsch führte nämlich sehr gern Selbstgespräche. Man kann sich wahrlich ihren verblüfften Gesichtsausdruck vorstellen, als Karli sie anblickte und ihr tatsächlich antwortete .

"Aber Hallo, warum ist es denn hier jetzt so hell? Das mag ich gar nicht. Außerdem habe ich keine Zeit zum Plaudern. Ich muss ganz viel essen, damit ich noch größer und kräftiger werde.", sprach er zu Frau Trautzsch, die ihre Brille absetzte und sich erst einmal die Augen rieb.

"Ähm ja, nun .....", entglitt es der älteren Frau, die nun den halben Apfel samt Karli dicht vor ihre zusammengekniffenen Augen hielt. "Du kannst wirklich sprechen? Ich glaub es ja nicht! Wer bist du?", fragte sie.

"Ich bin Karli und ich bin kein Wurm sondern eine Raupe, die Raupe eines Apfelwicklers. Kennst du einen Apfelwickler?". Frau Trautzsch schüttelte den Kopf und meinte, sie kenne nur Lockenwickler. Da lachte unser Karlchen. Das Eis zwischen ihnen war gebrochen. Er bewegte langsam sich auf ihren Zeigefinger und erzählte Frau Trautzsch, wie aus ihm in wenigen Tagen ein braun-grauer unscheinbarer Schmetterling werden würde.

Ein Nachbar von Frau Trautzsch, der sehr oft und sehr gern mit dem Rasenmäher durch seinen Garten fuhr, sah diese an ihrem Gartentisch sitzen und zu ihrem Zeigefinger sprechen. Er schüttelte lachend den Kopf und dachte bei sich, ob er vielleicht Herrn Trautzsch holen solle.

Edeltraud Trautzsch setzte den kleinen Karli auf den halbierten Apfel zurück und ging ins Haus, um sich ein Buch über die heimische Tierwelt zu holen. Als sie an den Gartentisch zurückkam, verscheuchte sie eine gefrässige Amsel, die schon im Landeanflug war, um Karli mit ihrem orangeroten Schnabel aufzupicken. Dann schaute sie in dem Buch nach den Seiten mit Schmetterlingen und las Karlchen daraus vor. Das gefiel den Beiden so gut, dass er seinen Apfel und Frau Trautzsch ihren Apfelkuchen vergaß.

Noch eine ganze Weile blätterten sie in dem Tierbuch und Karlchen erzählte, dass er als Schmetterling hauptsächlich nachts unterwegs sein werde, in der Dunkelheit, und dass er es deshalb schon jetzt nicht gern so hell mochte. Als sie im Buch zu den Seiten über Igel kamen, erzählte Karlchen von seiner Freundin Berta, und das die Beiden bestimmt bald viele Abenteuer erleben werden. Auch Igel sind am liebsten nachts im Garten unterwegs.

Später verabschiedeten sich Karli und  Frau Trautzsch voneinander. Frau Trautzsch legte die zwei Apfelhälften samt Karlchen wieder aneinander und den Apfel unter den Apfelbaum ins hohe Gras, welches der neugierige Nachbar in seinem Garten schon längst kurzgemäht hätte. Hier im hohen Gras würde die gefrässige Amsel unser Karlchen nicht finden.

Im Herbst dachte Frau Trautzsch oft an Karli und schaute an den späten Abendstunden aus dem Fenster, ob sie Karlchen und seine Freundin Berta im Garten sah.

Ende



Kommentare