Das geheimnisvolle Silberblatt

 


Die Frau, die gern in diesem Garten vor sich hin werkelte, hatte die Pflanze irgendwann durch Zufall entdeckt. Diese Pflanze war anders als alle anderen. Im Frühjahr wuchs sie zügig heran, blühte aber nur kurze Zeit lila. Dann veränderte sie sich rasch, wurde braun und trocknete aus. Die Pflanze hieß "Silberblatt".

Auch die anderen Blumen im Garten sahen das Silberblatt und lachten über die unscheinbare Pflanze. Während deren  bunte Farben um die Wette strahlten, schauten sie verächtlich zum  braunen, fast vertrockneten Silberblatt. "Silberblatt, bist ganz matt!" riefen sie dann, machten eine lange Nase und amüsierten sich. Besonders laut lachten die lilafarbenen Ballonblumen, deren Blüten dann aufplatzten, die stolzen Rosen und die Glockenblumen, die leise im Wind klingelten. " Silberblatt, bist ganz matt! Silberblatt, bist ganz matt!". Die Frau schmunzelte dann und dachte bei sich, wie bald alle über das Silberblatt staunen würden.

An einem Spätsommerabend schnitt die Frau die braunen Stängel vom Silberblatt kurz über der Erde ab. An ihrem Gartentisch entfernte sie zuerst vorsichtig die welken Blätter. Die stolzen Rosen wirkten bereits müde, hatten nur noch wenige Knospen. Sie reckten ihre Köpfe um zu sehen, was da auf dem Gartentisch geschah. Die Frau betrachtete voller Vorfreude die graubraunen, matten, runden Taler, die an den Stängeln zu Hauf gewachsen waren. Einige Stängel hatten keine Spitze mehr, ihr Mann hatte sie nach der Blüte im späten Frühjahr unwissend zur Hälfte gekürzt. Dann entfernte die Frau behutsam von jedem Taler die äußeren beiden Häute. In diesen Häuten schlummerten die Samen des Silberblattes für das nächste Jahr.

Zum Vorschein kam überall das innere Blatt des Talers. Es sah aus wie hauchfeines Pergamentpapier. Ringsum erklang ein "Oh" und "Ah". Neidvoll schauten die Rosen, die Ballonblumen und auch die Glockenblumen nach dem Inneren der Silberblatttaler. Sauber, rein, glänzend und zart strahlten diese im Abendlicht.

Die Frau freute sich über die Silberblattstängel mit den zarten Talern. Später zierten diese einen Tonkrug auf dem Fensterbrett im Wohnzimmer. Manche der kleineren, halbierten Stängel legte sie in eine Kiste, diese würde sie unter die Schleifenbänder künftiger Geburtstags- oder Weihnachtsgeschenke legen. Die Samen kamen ebenfalls in kleine Schachteln, aus ihnen würden im nächsten Jahr neue Silberblattpflanzen wachsen.

Und so zauberte das getrocknete Silberblatt Freude in die Augen derer, die die zarten Taler bewunderten.

Ende




 

Kommentare

  1. Ich kenne diese Pflanze auch unter dem Namen "Judas-Silberling". Einen Ableger hab ich damals aus der Toskana mitgebracht!

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