Was Lucas Cranach denken und seinem Freund Martin erzählen würde ...


 
Wenn der Geist von Lucas Cranach so manche Nacht durch die Malschule und die alte Druckerstube in der Wittenberger Altstadt schleicht, wandelt er dabei durch seine alten Gemäuer, die frisch saniert fast so aussehen, wie er sie einst selbst erlebt hat. Es riecht nach Farbe und die Pinsel stehen zum Trocknen am Fenster. Dann schaut er die Zeichnungen der Kinder an, rätselt was diese bedeuten. Viele Bilder hat er so manche Nacht gesehen, wenn Ruhe eingekehrt ist, seit er zwischen den Welten wandelt. Es sind ja auch rund 500 Jahre vergangen, seit er hier lebte, arbeitete und wirkte.

So manchen Abend hat er im Hause von Martin Luther verbracht, mit ihm philosophiert, diskutiert, geträumt und gelacht - im Winter in dessen Haus, dem heute weltweit bekannten Lutherhaus und in den Sommermonaten im Garten, wo die Abendsonne über die Schlosskirche in den schönen Garten schien, unter den Apfelbaum, wo sie in dessen Schatten saßen. Dann bewirtete Katharina von Bora, eine ehemalige Nonne und spätere Frau Martin Luthers, die beiden Freunde.

Aber einmal im Jahr, am zweiten Juniwochenende, kann er so gekleidet wie er ist, sogar am Tag durch den Cranachhof hinaus in die Altstadt gehen. Die gesamte Innenstadt gleicht dann der Zeit, in der er, seine Familie und seine Freunde einst lebten. Von Freitag bis Sonntag taucht die Wittenberger Altstadt in die Zeit des Mittelalters ein. Touristen von nah und fern, aus aller Welt, sind zu Gast in der kleinsten Großstadt und feiern das historische Stadtfest, wenn die Hochzeit von Martin Luther und Katharina von Bora nachgestellt wird.

Dann lehnt Lucas Cranach meist an einer der unzähligen Tavernen, die drei Tage lang in der Innenstadt den Zuschauern warme Speisen und kalte Getränke für inzwischen viele Taler anbieten. Lucas genehmigt sich stets ein kühles Met und schmunzelt, während er dem Treiben zuschaut. Was ist bloß mit den Wittenbergern los? Die sonst modern gekleideten Menschen schlüpfen drei Tage lang in die Gewänder seiner Zeit und schwören all der modernen Technik ab. Einzig solch kleine, rechteckige, flache Teile halten sie in den Händen - sie sprechen hinein, tippen auf leuchtende Buchstaben oder halten sich das Dingens vor das Gesicht und lachen später.

Lucas Cranach fühlt sich an diesem Juniwochenende stets wohl, ist er optisch doch einer von ihnen oder sind die Menschen ein Teil von ihm, aus seiner Zeit? Freitag, wenn die Kutsche mit der entflohenen Nonne in Wittenberg einfährt und diese über das historische Pflaster rattert. Oder am Samstag, wenn hunderte von Bauern, Musiker, Adelsgeschlechter und wichtige Persönlichkeiten vor und hinter dem  Brautpaar laufen, wenn Vereine in diesem nicht enden wollenden Festumzug durch die Altstadt tanzen, singen, Musik machen, die Gäste am Straßenrand zum Feiern animieren. Und wenn sich später dieser Festumzug auflöst und die Menschen auf allen Plätzen und Höfen, auf dem Marktplatz und der Schlosswiese weiter feiern.

Ganz ungläubig staunt Lucas jedes Jahr, wenn sich ein solcher Umzug durch die historische Altstadt wiederholt. Dann feixt er und schüttelt den Kopf, die Wittenberger sind schon ein komisches Völkchen - besonders, wenn am Sonntag dann ein Knabe und ein minderjähriges Mädchen das Brautpaar darstellen und der Festumzug fast nur aus Kindern besteht. Dürfen dann auch Kinder heiraten? Lucas kratzt sich am Kopf und nippt weiter an seinem Krug. Ein würziger Duft steigt in seine Nase. So ein warmer Fladen mit Knoblauch könnte mir jetzt auch schmecken, denkt er bei sich und spürt, wie ihm das Wasser im Mund zusammenläuft.

Wenn das alles der Martin wüsste! Was würde er denken? Die Stadt trägt inzwischen als Beinamen sogar seinen Namen: Lutherstadt Wittenberg; dann ist da die Thesentür an der Schlosskirche, die ist weltbekannt; es gibt süße Reformationsbrötchen, Lutherschnaps, Luthertomaten, Lutherbrot, die Lutherstraße und und und. Aber, denkt sich Lucas Cranach, ein bisschen habe auch ich diese Stadt geprägt und meine Spuren hinterlassen - wurden doch in meiner Druckerei die Thesen von Luther gedruckt, meine Arbeit im Cranachhaus, in der Malschule, meine Bilder in manchem Museum, da ist der Cranachhof, die Lucas-Cranach-Straße und die Cranachapotheke. Und auch seine Zeitgenossen wie zum Beispiel Philipp Melanchton, Johannes Bugenhagen oder Hans Lufft haben diese schöne Stadt geprägt. Vielleicht gibt es irgendwann auch für uns ein Fest, denkt Lucas, trinkt ein Schluck Met und betrachtet neugierig eine freundlich wirkende Frau, die sich keck neben ihn stellt, dieses kleine rechteckige Dingens vor ihr und sein Gesicht hält, lacht und weiterzieht.

Wenn am Montag der ganze Zauber vorbei ist, die Zelte und Holzbuden abgebaut werden, wenn die Kehrmaschine die Innenstadt gereinigt hat, wenn die jungen Frauen wieder kurze, leichte Sommerkleider tragen und Ruhe einkehrt, kehrt am Abend auch wieder Ruhe in die alte Druckerstube ein. Dann lehnt sich Lucas Cranach zurück, zündet sich eine Pfeife an, denkt an seinen Freund Martin und an ihre gemeinsame Zeit. 



Ende


Und wer die Wittenberger Altstadt mit Martins und Lucas' Augen auch an anderen Tagen erblicken möchte, der
 kann sie im  Panometer  "Luther 1517" unweit des Lutherhauses entdecken, wo er den Beiden ganz sicher begegnen wird. 


Kommentare

  1. Eine schöne Geschichte, sehr liebevoll geschrieben!!!!!

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  2. Das wäre doch ein schöner Werbetext für Luthers Hochzeit.

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