Bruschetta und eine Italienische Angelegenheit

 


Die warme Mittagssonne flimmerte über der typisch hellbraunen Erde der Toscana, durchdrang die zartgrünen Olivenbäume und auch die Trauben des künftigen Vino Rosso wurden vom Licht der Sonne gewärmt.

Maria-Rosa hielt sich die rechte Hand waagerecht über die Stirn, so konnte sie im grellen Sonnenlicht besser sehen. Ihr prüfender Blick glitt über die eingedeckten Tische im schattigen Garten der Trattoria, mitten im Herzen der Toscana. Alles war bereit für die ersten Mittagsgäste bevor sich diese dann zur "Ora di Riposo", der sogenannten Mittagsruhe, zurückziehen würden. Das Bestellbuch der Trattoria wurde zum Abend hin immer voller, dann würden Rosa und Federico von drei weiteren Angestellten unterstützt werden.

Sie schloss die Augen, hielt ihr Gesicht kurz in die Sonne und atmete tief ein. Der Geruch des ringsum üppig wachsenden Rosmarins war ihr Lieblingsduft. Rechts neben der Trattoria, als natürliche Grenze zum Casa, welches sie mit ihrer Familie bewohnte, wuchs eine Rosmarinhecke. Rosa sog den herrlich würzigen Duft ein. Anders als all ihre Freundinnen hatte sie viele kleine Sommersprossen im Gesicht und auf ihren Armen, die Federico an ihr so liebte. Sie strich sich ihr langes dunkles Haar aus der Stirn und fragte sich, wo er nur blieb. Ihr Federico, der sich nicht an ihren Doppelnamen gewöhnen konnte, hatte ihr die Entscheidung abgenommen, und rief ausschließlich Rosa nach ihr. Sie selbst mochte Maria als auch Rosa. Es war ihre Mama, die zu Rosas Geburt beide Namen mochte, sich aber nicht entscheiden konnte und ihr kleines Mädchen schließlich Maria-Rosa taufen ließ.

Rosa trank gegen den Durst ein Glas kaltes Wasser aus dem grünen bauchigen Glaskrug, in dem Zitronenscheiben, Rosmarinstängel und ein paar letzte inzwischen klitzekleine Eiswürfel schwammen, und lauschte den Klängen der Zikaden. Ja, hier war sie zu Hause, die Geräusche, die Gerüche, das war die ländliche Toscana, die sie so liebte.

Das Telefon in der Trattoria klingelte und riss sie aus ihren Träumen. Noch eine Riservazione für den Abend, ein höfliches Grazie und ein kurzes Prego, dann drangen die Zikaden wieder in Rosas Ohr. Sie würde das "Reserviert" Schild rechtzeitig auf Tisch sechs stellen.

Ein lautes Hupen und das quietschende Bremsen des dreirädrigen dunkelgrünen  Kleintransporters deuteten an, dass Federico endlich vom Frischemarkt zurück war. Rosa schaute auf die Uhr, seufzte und eilte ihm entgegen. Auf der Ladefläche standen mehrere Stiegen mit frischem Obst und Gemüse und mit drei Kanistern Olivenöl. In der Küche rutschte Federico ein Netz aus der Hand. Es riss und die vielen gelben Zitronen kullerten über die terrakottafarbenen Steinfliesen. Federico lachte, klatschte in die Hände und zog Rosa an sich, die ihre Arme in die Hüften gestemmt hatte und versuchte ihn streng anzusehen. Als er sie küsste, lachte auch Rosa. Sie liebte seinen weichen Bart, der sie stets kitzelte, wenn er sie in seine Arme nahm. Frederico war knapp 10 Jahre älter als sie und hatte eine Gelassenheit, die ihr gut tat. In seiner Nähe verflogen all ihre Sorgen, er konnte mit Rosa lachen, selbst die Farben waren wieder bunter, wie nun die Zitronen neben ihren Füßen. Nur behielt er heute für sich, wo er am Vormittag so lange gewesen war. Das irritierte Rosa sehr.

Bald kamen die ersten Gäste, es gab viel zu tun und die Zeit verging wie im Fluge. Als Rosa eine besondere Flasche Wein für einen Herrn, der sich für einen Weinkenner hielt, aus dem Weinkeller holte, traf sie dort auf Federico, der leise telefoniert hatte und nun verlegen das Telefon in die Hosentasche steckte. Gern hätte sie ihn darauf angesprochen aber sie wollte ihre Gäste nicht warten lassen. Gedankenversunken öffnete sie einen Vino Rosso und goss dem sympathischen Mann ein Glas ein, mit dem freundlichen Hinweis, den Wein einen Moment atmen zu lassen. Rosa schoss es durch den Kopf, diesen Gast zu kennen. War er schon einmal hier?

Freundlich nahm Rosa die Bestellungen der Gäste an deren Tischen auf, brachte ihnen dann einen Aperitivo und das gewünschte Essen und freute sich über das Lob der Gäste, denen das Essen schmeckte und die zu schätzen wussten, wieviel Mühe und Liebe Rosa und Federico in den Jahren, die sie die Trattoria besaßen, in die Renovierung gesteckt hatten - bis diese vor fünf Jahren so eingerichtet eröffnet werden konnte, bis der Garten so herrlich grünte und sie in Renata eine fantastische Köchin gefunden hatten. Mit Renata besprach Rosa regelmäßig die Karte, kochte mit ihr wenige aber landestypische Gerichte und rundete diese eigens mit den Kräutern aus dem Garten ab. Zu Rosas Leidenschaft gehörten die täglich wechselnden Bruschetta, die sie selbst zubereitete. Schon morgens, wenn Rosa erwachte, dachte sie darüber nach, welche Bruschetta sie in der Küche zaubern würde - mit Tomaten, Paprika, Bohnen, Fenchel und Zucchinis vom hiesigen Frischemarkt, mit Knoblauch, Rucola und Basilikum aus dem eigenen Garten am Casa und einer zarten Kaninchencreme mit eingelegten Kapern vom befreundeten Agricoltori in der Nähe. Den Teig für das Brot, aus dem Rosa die herrlichen Bruschetta zubereitete, knetete Renata jeden Abend und ließ den Teig über Nacht stehen. 

Am Abend kamen die übrigen Angestellten, die in der Küche und beim Bedienen halfen. Es gab kaum noch freie Plätze an den liebevoll gedeckten Tischen, auf die Rosa sehr viel Wert legte. Je ein Töpfchen Rosmarin in einem einfachen braunen Übertopf und ein Teelicht in einem schlichten farblosen Glas standen auf den dunkelbraunen Tischen, dazu Stoffservietten in der Farbe der toscanischen Erde und das glänzende silberne Besteck.

Rosa bediente Freunde, Einheimische und fremde Gäste. Bald wurden die Kerzen in den Windlichtern angezündet. Die geschliffenen bunten Wassergläser und ebenso die Weingläser warfen das Kerzenlicht zurück. Das leise Klappern der Bestecke auf den Tellern und das zufriedene Gemurmel der Gäste klang wie Musik in Rosas Ohren.

Später begann ein Pärchen auf dem Rasen zu tanzen, Rosa drehte die Musik etwas lauter und summte bei dem Lied "Guarda Che Luna" mit. Sie suchte Federico, den sie an diesem Abend kaum gesehen hatte. Was war nur mit ihm los? Da tippte ihr jemand auf die Schulter. Rosa drehte sich um und war überrascht, als der Gast, der ihr so bekannt vor kam, sie zum Tanz aufforderte. Er stellte sich als Giuseppe vor, konnte gut tanzen und hatte etwas an sich, was Rosa nicht einordnen konnte. Einerseits schien er sich sichtlich wohl zu fühlen und doch war seine Neugier auf die Trattoria und auf Rosa kaum zu übersehen.

Wenig später sah Rosa ihren Federico mit einer jungen Frau dicht zusammenstehen, die mehrmals nickte und geheimnisvoll lächelte. Rosa lief in die Küche und warf die Tür hinter sich laut ins Schloss. Renata schaute sie fragend an. Rosa war eine temperamentvolle Frau, die schwer ihre Gefühle unterdrücken konnte.  Und schon gar nicht dann, wenn sie wütend war. Ihre Füße schmerzten vom Hin- und Herlaufen und Federico flirtete mit der attraktiven  Frau im Garten. Sie war bestimmt auch am Nachmittag am Telefon, als Rosa ihn im Weinkeller beim Telefonieren ertappt hatte. Rosas dunkle Augen funkelten und glänzten wütend. Sie wollte ihn zur Rede stellen. Doch noch waren alle Plätze an den Tischen besetzt und die Gäste fühlten sich sichtlich wohl.

Sie trat durch die Tür in den Garten und blickte sich um. Federico war nirgends zu sehen, dafür kam plötzlich ihre Tochter Alessandra auf sie zu. Verwundert sah sie ihr 20 Jahre jüngeres Ebenbild lächelnd vor sich. Sie sollte doch jetzt in Florenz sein, wo sie Kunst studierte, dachte Rosa zögernd. In ihrem Kopf drehte sich alles. Giuseppe kam aus der anderen Richtung freudig auf sie zu, und die Musik war doch so laut ... Ihr wurde schwindelig und grad zur rechten Zeit waren Federicos Arme da, der sie behutsam auffing. Als Rosa wenige Sekunden später wieder zu sich kam, hatte ihr Renata ein Glas Wasser gebracht.

Die junge Frau, die vorhin so dicht bei Federico stand, hielt eine lange zitronengelbe Rose vor sich und Giuseppe hatte das Messer von seinem Platz in der Hand, mit welchem er vorsichtig sein Glas erklingen ließ. Ich bin dem Wahnsinn nah, dachte Rosa, die nicht begriff, was vor sich ging und sich ihr kaltes Wasserglas an die Stirn hielt.

Dann klärte sich alles auf. Dieser Abend war eine große Überraschungsfeier für Rosa. Fast auf den Tag zur Eröffnung, genau vor fünf Jahren, bekamen sie und Federico heute einen Michelin Stern für die gute Küche der Trattoria. Und so war es auch keine Überraschung mehr, als sich Giuseppe als Restauranttester vorstellte, der vor wenigen Wochen auf der Durchreise eher zufällig in der Trattoria gegessen hatte und von der Küche sehr begeistert war. Die junge Frau neben Federico war die Tochter des Rosenzüchters, der in Federicos Auftrag eine neue Rosensorte gezüchtet und diese nach Rosa benannt hatte. Das war Federicos Geschenk für seine Rosa. Er flüsterte leise "Mia Cara" in ihr Ohr und küsste sie, so wie er sie seit ihren gemeinsamen elf Jahren küsste.

Noch lange bis in die Nacht hinein feierten die Gäste mit Federico, Rosa und Renata, mit Alessandra und Giuseppe, der vom Vino Rosso berauscht, barfuß auf dem Rasen tanzte.



 PS: Danke für die Namen, liebe Alessandra aus Montepulciano, wir sehen uns wieder in der schönen Pizzeria am Torbogen. Und danke Wölfi und Anke, dass ihr den Titel meiner Geschichte, der schon lange feststand, gerettet habt. 

 

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