Ein weihnachtlicher Ostergruß



Edeltraut Trautzsch war an diesem Frühlingstag gut vorbereitet. Seit dem letzten Weihnachtsfest, und den noch länger zurückliegenden Ostertagen, erschien ihr nichts mehr unmöglich. Während sie betont langsam mit einem großen, braunen Holzlöffel ihren selbstgebrauten Eierlikör umrührte, schaute sie gedankenversunken aus dem Küchenfenster. Die Frühlingssonne spiegelte sich im Fenster und auch in der farblosen Glasschüssel, die vor ihr stand. Sie sah das besondere Windlicht, das am Weihnachtsmorgen gegen das zerbrochene Windlicht ausgetauscht an der Eingangstür gestanden hatte.

Edeltraut naschte von ihrem Zeigefinger den fertigen Eierlikör. Sie schmunzelte, als sie an das letzte Osterfest dachte. Vor genau einem Jahr hatte auch der Osterhase von ihrem Eierlikör gekostet, dabei die Fläschchen in den Osterkörbchen geplündert  und war anschließend sturzbetrunken und laut gröhlend davongehoppelt.

Morgen würde es wieder so weit sein, die Familie würde kommen und Edeltraut hatte noch allerhand zu tun - Kuchen backen, Osterkörbchen füllen, den Osterbrunch vorbereiten und im Garten noch einige bunte Ostereier an die Sträucher hängen.
 
Doch erst einmal kippte sie vorsichtig die Glasschüssel an und füllte ihren Eierlikör in kleine Flaschen ab. Nachdem alle Flaschen sauber, etikettiert und mit Edeltraut's steiler Handschrift beschrieben waren, stellte sie diese zum Abkühlen von außen auf das Fensterbrett. Anschließend suchte sie die Kiste mit den Dekoeiern für den Garten, zog eine dünne Jacke über und schlüpfte in ihre Gartenschuhe. 


Zu dieser Zeit war auch schon der Osterhase eifrig in Gange. Mit all seinen bunten Ostereiern war er in den Garten von Familie Trautzsch gehoppelt. In Erinnerung an seinen Eierlikörrausch im letzten Jahr, schaute er zwischen die Sträucher, ob Edeltraut Trautzsch vielleicht schon das eine oder andere Nest versteckt hatte und er wieder vom Eierlikör naschen könnte.


Er verteilte verschieden bunte Eier im Gras  - hier ein rotes Ei, dort zwei gelbe, zwischendurch die blauen Eier mit dem filigranen Muster und dann noch die Ostereier aus Glas. Eines hielt er vor sein rechtes Auge und blickte durch das Glasosterei in die Sonne. Wunderschön sah das aus, der Garten und der Himmel wirkten genauso rosa wie das Glasei. Die Sonne wärmte sein weiches Fell und während er an den Eierlikör dachte, leckte er sich mit der Zunge über seine Nase. Dabei wurde er immer kreativer, legte aus den bunten Ostereiern verschiedene Symbole, Motive, Zahlen oder gar Buchstaben und fand kein Ende.

Als er in sein Körbchen blickte, lagen darin noch drei silbrig glänzende Ostereier, die ihm der Nikolaus für Frau Trautzsch mitgeschickt hatte sowie ein rotes, glänzendes Osterei, ein Gruß vom Weihnachtsmann. Dieses sollte er an den Strauch im Innenhof hängen. 
Die beiden Gefährten dachten noch oft und voller Dankbarkeit daran, wie Edeltraut Trautzsch ihnen in der Weihnachtsnacht den Weg zurück zum Nordpol gezeigt hatte. Auch Edeltraut dachte oft an ihre beiden Gäste, die in der Weihnachtsnacht plötzlich vor der Haustür standen - an den hungrigen Nikolaus und an den charmanten Weihnachtsmann, ihren bärtigen Tangotänzer. Oft lauschte sie seit dem den Klängen des argentinischen Tangos auf ihrer Lieblings-CD und lächelte.

Als Edeltraut Trautzsch mit der Dekokiste aus dem Haus trat, traute sie ihren Augen kaum. Überall lagen Ostereier. Dann kniff sie die Augen zusammen, etwas Glänzendes blendete sie. Langsam bewegte sie sich von links zu dem Strauch, an dem bereits die drei silbrigen Ostereier hingen. Von rechts jedoch kam gleichzeitig der Osterhase.

(An dieser Stelle denkt euch die Musik vom Filmklassiker "Der weiße Hai").

Düdüm... düdüm...düdum... ganz langsam bewegten sich die Beiden vorwärts, der eine den anderen nicht sehend aber von ihm wissend - düdum...düdüm... düdümdüdümdüdüm ....., ein Schrei, ein Seufzer und dann - je eine Beule an der Stirn beim Osterhasen und eine am Oberschenkel von Edeltraut Trautzsch.

Erschrocken rieben sich die Beiden ihre Beulen und schauten sich an. In der rechten Pfote hielt der Osterhase ein zerbrochenes, rotes Ei - den lieben Gruß vom Weihnachtsmann. Beim Zusammenprall der Beiden war das rote Ei jedoch zerbrochen. Der Osterhase blickte beschämt auf das rote, glänzende Ei und trat verlegenen von einem Hasenfuß auf den anderen.

Edeltraut rannte zurück ins Haus, holte eine kleine Flasche Eierlikör, Pflaster und Klebeband. Kurze Zeit später baumelte das zusammengeklebte rote Osterei zwischen den silbernen Ostereiern am Strauch, so wie es sein sollte. Der Osterhase hoppelte lachend, mit einem Pflaster auf der Stirn und der kleinen Flasche Eierlikör unter dem Arm, durch die Hecke zu den Nachbarn von Familie Trautzsch.

Am Nachmittag kam Herr Trautzsch vergnügt vor sich hin pfeifend und mit einem dicken Karpfen im Eimer vom Angelteich. Als er aus dem Auto stieg, trat er unbeabsichtigt auf ein blaues Osterei, danach auf ein gelbes und dann auf ein grünes. Er blickte sich irritiert um. Es war, als hätte es bunte Ostereier vom Himmel geregnet. Er kratzte sich am Kopf und dachte mit Schrecken daran, dass es in den nächsten Tagen nur noch Eiersalat geben würde.

Als Edeltraut Trautzsch am nächsten Morgen die Osterkörbchen und den Eierlikör im Garten verteilen wollte, stellte sie fest, dass zwei kleine Fläschchen Eierlikör fehlten. Sie schaute zu dem Strauch mit den glänzenden Ostereiern. Die rüstige Rentnerin kniff erneut die Augen zusammen und fokussierte das rote Osterei, das sie gestern nach dem Zusammenprall mit dem Osterhasen zusammengeklebt hatte. Es schaukelte glänzend im Morgenlicht und nicht ein Kratzer war mehr zu sehen. 

Am Fädchen hing ein kleiner Zettel, auf dem stand: "Liebe Edeltraut, ich war so frei und habe das kaputte rote Osterei gegen ein neues ausgetauscht. Bitte sei nicht verärgert, dass zwei kleine Fläschchen von deinem leckeren Eierlikör fehlen. Der Osterhase hat so sehr davon geschwärmt. Im Dezember sehen wir uns wieder. Ich freue mich wieder auf ein Tänzchen mit dir. Dein Weihnachtsmann und der Nikolaus".

Ende





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