Weihnachtskriminalkomödie 2021



Der Hund bellte seit Stunden. Das helle  Licht der Straßenlaterne schien unter dem alten Hoftor hindurch. Dort stand der schlanke Hund, der aufgeregt etwas Fremdes witterte; sein Atem verwandelte sich in der kalten Nachtluft in weiße Wolken.

Alles schien weiß zu sein, dachte die Frau, die durch das inzwischen heisere Gebell aufgewacht war und aus dem Fenster schaute - das Mondlicht war weiß, der Schnee und das Licht der Straßenlaterne direkt vor dem Haus. Der große Nussbaum mit seinen kahlen Ästen wirkte beinahe bizarr und sein Schatten im Schnee schien kein Ende zu nehmen. Vom nahen See waberte dichter Nebel heran.

Die sonst so taffe Frau spürte das ihr vertraute Gefühl, es war Angst. Schon als Kind mochte sie die Dunkelheit nicht. Dagegen liebte sie die Stille der Natur, wenn diese von Schnee und Eis bedeckt war. Dann waren alle sie sonst umgebenden Geräusche leiser, fast wie gedämpft. Trotz der geschlossenen Schneedecke auf der Straße hörte sie das heranfahrende Auto. Je näher es kam, desto langsamer fuhr es. Der Hund tobte hinter dem Holztor.

Inzwischen war der Nebel so dicht, dass sie sich anstrengen musste etwas zu sehen. Sie hörte eine Autotür und die Stimmen zweier Männer. Plötzlich war der Hund still und auch die Stimmen schwiegen. Die Frau drehte sich um und sah zu ihrem Mann, der in seiner Betthälfte leise vor sich hin schnarchte. Seit Jahren hörte er schwer, schlief dagegen umso fester. Sie band sich den Gürtel ihres roten Morgenmantels fest um ihren einst flachen Bauch und presste ihre Stirn gegen das kalte Fenster. Einzig die Lichter des Autos waren im Nebel zu erkennen.

Wieder hörte sie die Stimmen, diesmal lauter und aufgebrachter, daraufhin tönte ein Poltern und ein Klirren. Instinktiv wusste sie, dass das große Windlicht, welches am Hoftor stand, zu Bruch gegangen war. Ihr Herz schlug immer schneller. Plötzlich ging durch den Bewegungsmelder das Licht im Hof an. Die Stimmen endeten prompt.

Edeltraut Trautzsch öffnete die Schlafstubentür und schlich leise die ersten Stufen der Treppe hinab. Mit dem Ärmel ihres roten Morgenmantels blieb sie an einer alten Angel hängen, die ihr Mann zur Erinnerung an seinen ersten Fisch vor über sechzig Jahren im Treppenhaus befestigt hatte. Sie fluchte leise, griff nach der Angel und blieb ganz still stehen. Im Hof war es wieder dunkel. Durch das Flurfenster erkannte sie zwei Gestalten, die sich der Eingangstür näherten.

Frau Trautzsch überlegte. Nach ihrem Mann brauchte sie nicht rufen. Sie spürte etwas Hartes in der Tasche ihres Morgenmantels und zog das Telefon heraus, doch der Akku war leer. Sie hatte am Abend vergessen, es auf die Ladestation zu legen. Mit dem stummen Telefon in der einen und der alten Angel in der anderen Hand, ging sie weiter langsam die Treppe hinab. Als sie unten in der dunklen Diele stand, ließ  sie das Telefon zurück in die Tasche gleiten - und riss beherzt die Eingangstür auf.

Der kräftige Mann vor der Tür schrie erschrocken auf, der kleinere Mann hinter ihm ebenfalls und auch der Mund von Frau Trautzsch formte sich zu einem Schrei, der allerdings in ihrem Hals steckenblieb. Der ungläubige Ausdruck auf den Gesichtern der drei Menschen wirkte im Licht der Hoflampe, die wieder angegangen war, wie in einer Kriminalkomödie. Vom dichten Nebel umhüllt standen dort eine Frau in ihrem roten Morgenmantel und mit einer Angel in der Hand, ein älterer Herr mit langem Bart, ebenfalls in einem roten Mantel, und ein kleiner Mann, der einen leeren braunen Jutesack in seiner Hand hielt.

Als erster schien der Nikolaus diese Szene zu realisieren. Er stupste den Weihnachtsmann an, der mit offenem Mund Frau Trautzsch anstarrte, die die Angel abgestellt hatte und sich die Augen rieb.

"Bitte entschuldigen Sie die Störung. Sie zu wecken war nicht unsere Absicht. Wir suchen die Seestraße und haben uns im Nebel verfahren. Können Sie uns bitte helfen?", fragte der Weihnachtsmann die noch immer verblüffte Frau in der Eingangstür. Frau Trautzsch holte tief Luft und begann herzhaft zu lachen. Und wie immer wenn sie lachte, bebte ihr großer Busen. 

"Auf diesen Trick falle ich ganz sicher nicht herein. Sind Sie so dumm oder etwa betrunken? Ich glaub's ja nicht, und seit wann kommt der Weihnachtsmann mit dem Auto und hat auch noch den Nikolaus dabei?", meinte sie lachend. 

"Dürfte ich vielleicht Ihre Toilette benutzen?", bat der Weihnachtsmann. Sie kniff die Augen etwas zusammen und schaute den Weihnachtsmann lange an. Dieser zwinkerte ihr zu und in diesem Moment fühlte Frau Trautzsch eine besondere Magie. 

Sie lud den Weihnachtsmann und den Nikolaus ins Haus, erwärmte ihren selbstgemachten Glühwein und stellte etwas Weihnachtsgebäck auf den Küchentisch. Genüsslich biss der Nikolaus in die Plätzchen und freute sich über den Glühwein, da am 06. Dezember stets nur ein Glas Milch für ihn neben den Kinderstiefeln stand. Auch der Weihnachtsmann langte später zu. Sie erzählten, dass die Rentiere in diesem Jahr keine Lust gehabt hätten den Schlitten zu ziehen und, dass der Weihnachtsmann nicht Auto fahren könne. Deshalb begleiteten ihn der Nikolaus und die Weihnachtsmaus Amanda, die aber auf der langen Fahrt im Auto eingeschlafen war.

Frau Trautzsch, die gern Musik hörte, legte ihre Lieblings-CD ein und kurz darauf ertönten die ersten Klänge der Tangomusik, die sie so liebte. Sie summte mit und füllte die Etagere mit ihren Weihnachtsplätzchen nach. Der Weihnachtsmann beobachtete die vor sich hin summende Frau. Alles war sehr besonders in dieser Nacht. Dann stand er auf, verbeugte sich und forderte Edeltraut Trautzsch zum Tanzen auf. Hätte jemand durch das Fenster geschaut - er hätte es nicht für möglich gehalten. Der Nikolaus saß satt und mit heißen Ohren vom Glühwein am Küchentisch und der Weihnachtsmann tanzte Wange an Wange mit Edeltraut Trautzsch in deren Küche Tango, während diese dabei ihren roten Morgenmantel und Pantoffeln trug. 

Etwa eine Stunde später fragte Frau Trautzsch die Beiden zu wem sie denn in der Seestraße wollten. Da antwortete der Weihnachtsmann, dass sie mit dem Austeilen der Geschenke fertig waren und um mit dem Auto Schwung für den Heimweg zu holen, bräuchten sie eine lange, gerade Straße. Als Frau Trautzsch aus dem Fenster sah, blickte sie ins Nichts. Noch immer war der Nebel undurchlässig. Wie sollte sie dem Nikolaus und dem Weihnachtsmann den Weg zur Seestraße erklären? Sie überlegte, ging in die Diele und nahm die Hoftorschlüssel an sich. "Auf geht's, meine Herren, ich komme mit und zeige Ihnen den Weg.".

Kurze Zeit später öffnete der Weihnachtsmann die Tür zum Weihnachtsauto. Edeltraut Trautzsch erblickte die kleine Weihnachtsmaus Amanda, die sie schlafentrunken ansah und leise piepste "Hallo Frau Trautzsch, da sind Sie ja!". Sie nahm die kleine Weihnachtsmaus auf ihren Schoss, setzte sich auf die Rückbank zum Weihnachtsmann und während der Nikolaus das Auto startete, erklärte sie ihm den Weg. Es dauerte kaum zehn Minuten bis sie am See angekommen waren.

Der Weihnachtsmann stieg zuerst aus und half Frau Trautzsch aus dem Auto. "Nun trennen sich unsere Wege wieder. Vielen Dank für alles.", flüsterte er Frau Trautzsch ins Ohr. Sie zupfte an seinem weichen Bart, er war tatsächlich echt. Energisch hupte der Nikolaus, es war Zeit die Heimreise anzutreten. Die kleine Weihnachtsmaus winkte mit ihrer roten Strickmütze und den dazu passenden Handschuhen durch das Fenster, und mit einem Funkenflug startete das Weihnachtsauto mit seinen Insassen über die Straße, dann hoch durch die Luft in den Himmel und verschwand im dichten Nebel. Zurück blieb am Ufer des See's eine lächelnde Edeltraut Trautzsch, summend und barfuß im Schnee.

Am nächsten Morgen erwachte Edeltraut Trautzsch. Sie wunderte sich über ihren verrückten Traum - und über ihre kalten Füße. Sie zog ihren roten Morgenmantel über und sah auf die Armbanduhr. In wenigen Stunden würde das Haus voll sein, wenn die Familie gemeinsam singen, essen, lachen und Geschenke auspacken würde. Sie dachte an all die Dinge die noch zu erledigen sind, öffnete das Badfenster und schaute in den Garten. Da sah sie etwas, was ihren Blick fesselte. Sie eilte hinunter und öffnete die Eingangstür. Dort konnte sie den Schriftzug neben dem Herz sehen, dass der Weihnachtsmann für sie in den Schnee gemalt hatte. Daneben stand in einem weihnachtlichen Karton ein neues Windlicht. Frau Trautzsch sah in den Himmel und lächelte. 



Ende


Mit dieser letzten Geschichte für dieses Jahr wünsche ich euch von Herzen ein besinnliches Weihnachtsfest und einen harmonischen Heiligabend mit euren Lieben, ob beieinander oder im Herzen aus der Ferne aneinander denkend. 

Eure Henriette


PS: Ich danke meiner lieben Anke für das Foto aus Tirol, dem Herz im Schnee, da ich bisher umsonst auf Schnee gewartet habe. 



Kommentare