Die Geschichte vom Weihnachtsbaumständer Teil 2 - Weihnachten 1974

"Du immer mit deinem altmodischen Kram!", blubberte der Mann vor sich hin, als er am Morgen des Heiligabend die Kiste mit den Weihnachtsbaumkugeln und eine bunte Holzkiste aus dem Keller in die vierte Etage des Neubaublockes geschleppt hatte. "Jetzt pass lieber auf und nörgel nicht rum", lachte die junge Frau, die sich jedes Jahr darauf freute, sich für das Schmücken des Weihnachtsbaumes Zeit lassen zu können. Sie stellte die Kiste auf einen Stuhl und nahm liebevoll jede einzelne rote Kugel in die Hand. Diese Weihnachtsbaumkugeln hatte sie von ihrer Mutter bekommen, als sie vor fünf Jahren selbst Mutter wurde. Zu dem Karton mit den Weihnachtsbaumkugeln gehörte die bunte Holzkiste, in der unser Weihnachtsbaumständer lag. Er war nicht mehr so glänzend wie vor 30 Jahren. Jedoch hatte er keinerlei Kratzer; die bunte Holzkiste hatte ihn über die Jahre hinweg geschützt.

Am Abend erstrahlte der Weihnachtsbaum im Glanz der Kerzen, während er sich in unserem Weihnachtsbaumständer drehte. Zu dieser Zeit schnaufte der als Weihnachtsmann verkleidete rüstige Rentner Gustav Kirsten im Treppenhaus auf dem Weg in die vierte Etage. Nicht mehr ganz nüchtern, schwitzte er unter seinem roten Kostüm. Es war an diesem Heiligabend nun die fünfte Familie, bei der er laut an die Wohnungstür klopfen, zu einem kleinen Schnaps genötigt werden und den Kindern einen Sack voll Geschenke überreichen würde. Er kratzte sich unter seinem juckenden, künstlichen Bart und fragte sich, ob auch in dieser Familie die Kinder Thomas oder Kathrin heißen, wie so viele Kinder in dieser Zeit. Auch die schlichten Wohnungstüren und die Fußabtreter waren gleich.

Er klopfte mit einem kräftigen Ho Ho Ho an die Tür der jungen Familie. Eine freundliche junge Frau öffnete ihm die Tür und er trat in eine gänzlich anders eingerichtete Wohnung. Es gab keine typische Schrankwand, wie in den anderen Wohnungen an der gleichen Wand im Wohnzimmer. Hier standen eine alte Glasvitrine und eine alte Kommode, geschmackvoll kombiniert mit einem Ledersofa.

Und inmitten des Wohnzimmers stand in dem sich drehenden Weihnachtsbaumständer die geschmückte Tanne. Herr Kirsten staunte und die kleine Friederike griff nach seiner Hand. Er war froh, dass er einen Stuhl zugeschoben bekam und so der kleinen Friederike die Geschenke überreichen konnte. 'Hoffentlich gibt es nicht noch einen Weihnachtsschnaps' dachte er, lachte und fischte im Geschenkesack zuerst eine grüne Kubaapfelsine an das Licht.

'Hier gefällt es mir.' dachten der Weihnachtsmann und der Weihnachtsbaumständer wohl zeitgleich an diesem Abend. Der einzige Unterschied war, dass Herr Kirsten mit leerem Sack nach einer Stunde den Neubaublock verließ und nach Hause schwankte. Unser Weihnachtsbaumständer drehte sich an diesem Abend und an den folgenden Tagen noch oft, bevor er am zweiten Tag des neuen Jahres wieder zurück in die bunte Holzkiste gelegt wurde.

Bis 1990 wohnte die Familie noch in der Wohnung, Friederike bekam in dieser Zeit eine kleine Schwester und Herr Kirsten kam noch viele Jahre mit einer leichten Weihnachtsmannfahne, seinem künstlichen weißen Bart und schwitzend in seinem roten Kostüm in die vierte Etage dieses Neubaublockes.

Als die Familie aber wegen der Arbeit des Vaters in eine andere Stadt ziehen musste, blieben die bunte Holzkiste und der Karton mit den roten Weihnachtsbaumkugeln vergessen im Keller zurück.

 

Ende Teil 2

 

Nun verlassen wir auch diese Zeit und nächsten Sonntag, am 3. Advent, hält unsere Zeitreise im Jahr 1990 an. Wieder eine neue Zeit. Wie wird es unserem Weihnachtsbaumständer ergehen? Komm mit und lies selbst.

 

 

Henriette

 

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