Die Geschichte vom Weihnachtsbaumständer 1.Teil - Weihnachten 1944


Als die bunte Holzkiste 1944, ein paar Tage vor Weihnachten, das erste Mal geöffnet wurde, glänzte der Weihnachtsbaumständer noch ganz neu. Die junge Frau nahm ihn in die Hände und betrachtete sorgsam die  Weihnachtsmotive und die zwei Buchstaben ihres Monogrammes "MW". Vor wenigen Wochen hatte Margarete Winkelmann diesen zu ihrem Geburtstag geschenkt bekommen, doch würden sie und ihre beiden Kinder alleine am Heiligabend den Weihnachtsbaum darin bestaunen. Die Großeltern trauten sich nicht in die Großstadt zu kommen, Züge fuhren nur unregelmäßig und wenn, dann waren sie überfüllt mit Flüchtlingen und Soldaten. Auch ihr Mann war Soldat. Seit Wochen hatte sie nichts von ihm gehört, sein letztes Lebenszeichen war ein Brief an die Familie.

Tage später, als sie am Heiligabend die kleine Tanne festlich geschmückt und die Kerzen angezündet hatte, klingelte sie mit einer kleinen Glocke und die Kinder kamen mit glänzenden Augen in die gute Stube. Vorsichtig drehte sie mehrmals den Schlüssel am Weihnachtsbaumständer um. Daraufhin fing dieser an sich zu drehen und leise erklang dabei eine weihnachtliche Melodie. Für einen Moment waren alle Sorgen und Ängste verflogen. Es gab nur diesen Heiligabend, ihre Kinder, das karge Weihnachtsessen und diesen wunderschönen Weihnachtsbaumständer mit der sich darin drehenden Tanne.

'Wann wird jemals wieder Normalität einkehren?', fragte sich die junge Frau später, als die Kinder warm eingekuschelt in ihren Betten lagen. Noch einmal drehte sie an dem Schlüssel und lauschte dem leisen Weihnachtslied. Sie hatte den Kindern einen liebevollen Weihnachtsabend bereitet. Das war ihr das Wichtigste in dieser Weihnachtsnacht. 

Am Morgen gingen plötzlich die Sirenen und ersten Bomben trafen die Stadt, ließen alle Häuser erzittern. Die Menschen hockten ängstlich in den  Kellern der großen Mietshäuser. Unter ihnen auch Margarete mit ihren Kindern, der rüstigen Nachbarin und einem alten Mann, der über ihnen wohnte.

Der Weihnachtsbaumständer hörte all die lauten Geräusche, spürte ein Beben und die Weihnachtsbaumkugeln erzitterten. 'Das also ist Weihnachten?', dachte er. Gegen Mittag, als die junge Frau durchgefroren mit ihren Kindern in die Wohnung zurückkehrte und warmen Tee zubereitete, blickte sie aus dem Fenster. Der Stadtteil, in dem sie lebten, war wie durch ein Wunder fast unversehrt geblieben.

Nachdem die kleine Tanne Tage später abgeschmückt war und als Brennholz im Ofen die kleine Wohnung wärmte, wurde der glänzende Weihnachtsbaumständer zurück in die bunte Holzkiste gelegt und diese mit den Weihnachtsbaumkugeln zusammen unter dem Bett verstaut. Er hatte für kurze Zeit ein Licht in die Herzen der Menschen gezaubert.

Ungewiss begann ein paar Tage später ein neues Jahr für die Menschen in diesem Haus - der Soldat kehrte im Frühling gesund zu Margarete und seinen Kindern zurück, der Krieg ging endlich zu Ende und im Herbst 1945 wurde die bunte Holzkiste, mit dem Weihnachtsbaumständer darin, auf dem Schwarzmarkt gegen Lebensmittel eingetauscht. Über viele Jahre und  durch mehrere Hände gelangte dieser immer wieder in eine andere Familie.

 

Ende Teil 1

Im zweiten Teil meiner kleinen Weihnachtsgeschichte, am 2. Advent, reisen wir drei Jahrzehnte weiter zu einem Weihnachtsfest im Jahr 1974.

Diesmal etwas humorvoll und mit einem Augenzwinkern geschrieben, wird unser Weihnachtsbaumständer natürlich wieder Mittelpunkt des Geschehens sein.


Henriette

 


 

Kommentare

  1. Hallo Henriette,
    Ich habe die Geschichte sehr gut verstanden, sie hat mir gefallen. Ich bin froh, dass der Stadtteil fast unversehrt blieb und der Vater (Soldat) überlebt hat. Ich freue mich schon auf den zweiten Teil.
    Vinci

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    1. Das freut mich, lieber Vinci. Dieser erste Teil spielt zu einer schweren Zeit, die meine Großeltern erlebt haben. Im nächsten Teil wird es ein Weihnachten sein, das in einer Zeit spielt, als ich ein kleines Kind war.

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