Eine Reise, die nicht stattfinden konnte....




Diese Geschichte ist ein fiktives Reisetagebuch, denn die Reise konnte ich nicht wie geplant im April wegen des Coronavirus antreten. So hätte es vielleicht sein können oder vielleicht noch vieeeel schöner......  



München /Toskana ☀️🌿🌾
(Samstag)

Noch bevor der Wecker im Hotelzimmer klingelt bin ich wach. Leise schaue ich auf meinem Handy nach der WetterApp; in Montepulciano sind heute 19 Grad und es ist Sonne satt - genauso wie hier in München. 

Nach dem Frühstück fährt mich meine Cousine, die in München lebt, zum Flughafen. Ein Glas Prosecco zum Abschied und gegen die Aufregung, denn ich bin das letzte Mal vor 20 Jahren geflogen. Der Schalter von meiner Airline ist schnell gefunden. Alles ist okay, ich stehe tatsächlich auf der Passagierliste, mein Koffer ist auch nicht zu schwer und mein Reisepass ist tatsächlich gültig. Wir umarmen wir uns und die Worte : "Tschüß bis bald", "Guten Flug", "Pass auf dich auf", "Schreib gleich, wenn du da bist" begleiten mich bis in das Flugzeug.

Pünktlich rollt der Flieger über das Rollfeld und hebt ab. Ruhig kommen wir den Wolken näher und ich beginne mich zu entspannen, denn nun kann nichts mehr schiefgehen - Toskana, ich komme. Die Stimme des Kapitäns klingt warm und freundlich: " ..... und in einer Stunde werden wir planmäßig in Florenz landen". Ich lausche seinen Worten und allem, was ich sonst noch höre. Nein, kein plärrendes Kind in meiner Nähe, juhuuu - denn ich habe ja Urlaub und die Zwerge aus der Kita sind nicht mit an Bord. Um aus dem Fenster zu schauen, muss ich näher an eine ältere Dame rutschen. Ermuntert nimmt sie meine Körpersprache zum Anlass und erzählt mir von ihrem letzten Einkauf im Supermarkt. Sie erzählt ohne Unterbrechung, wird immer lauter, erzählt ohne Luft zu holen von leeren Regalen und fehlendem Toilettenpapier, und sie erzählt von ihrem defekten Rollator. Dann blicke ich durch das Fenster, sehe Flammen an der Tragfläche -  uuuuund wache auf. Neben mir sitzt die gepflegte ältere Dame von vorhin, sie ist auch eingenickt. Eine freundliche Flugbegleiterin reicht mir leise meine Sonnenbrille, die mir vom Kopf gefallen ist. Ich atme durch, habe zum Glück nur geträumt. Alles ist ruhig, in Kürze nehmen wir Landeanflug auf Florenz und mein Herz hüpft vor Freude, als wir genauso ruhig auf dem Rollfeld aufsetzen. 

Ab jetzt bin ich auf mich allein gestellt, werde ich das überleben? Ich brauche zuerst Kaffee. Tatsächlich finde ich meinen Koffer auf dem Rollband, frage höflich auf Englisch nach dem Bahnhof und auf Italienisch nach einem Espresso. Der Flughafen ist kleiner als ich dachte, der Bahnhof zu Fuß zu erreichen und der Espresso schmeckt lecker. Ich bekomme mein Ticket, steige in den Zug und bin zwei Stunden später da. Mit dem Taxi geht es zum Hotel - alles ist wie in den Unterlagen und auch das Hotel sieht aus wie auf der Seite im Internet. 

Als ich meinen Zimmerschlüssel habe, setze ich mich im Foyer in einen weichen, flaschengrünen Sessel am Fenster, freue mich und schicke ein "ICH BIN DA " in die Welt. Mein gemütliches, sauberes Zimmer ist im 1. OG. Ich packe in Ruhe aus, nehme eine heiße Dusche und esse später eine große Portion Pasta im Hotelrestaurant. Nach dem Abendessen komme ich mit der übergewichtigen Mama von der Rezeption ins Gespräch. Sie ist sehr freundlich und wir erzählen mit Händen und Füßen. Es ist inzwischen dunkel, ich höre im Zimmer leise italienische Musik und sehe den Mond hinter dem Fenster. Ich öffne es und höre in der Ferne die Glocke einer Kirchturmuhr. Genauso habe ich es mir vorgestellt.



Toskana 🌿☀️🌾
(Sonntag)

Kein Wecker, sondern zwei Frauen, die sich lautstark vor meinem Fenster unterhalten und dabei lachen, wecken mich heute, am Sonntagmorgen in der Toskana. Ich strecke mich und überlege welcher Tag heute ist - aber ich brauche nur kurz überlegen. Ein ganzer Tag zur freien Verfügung bevor am späten Nachmittag das Kennenlerntreffen in der Sprachschule stattfindet. Ich bin schon sooooo gespannt. Das Hotel und die Sprachschule trennen nur etwas mehr als 100 Meter. Am gut besetzten Frühstücksraum erkenne ich, dass das Hotel so gut wie ausgebucht ist. Ich finde einen kleinen Tisch für zwei Personen und lasse mir meinen Kaffee, etwas Obst, kühlen Joghurt und ein Croissant schmecken. 

Durch die weit geöffneten Fenster des Hotels scheint die Sonne herein und der typische Geruch der alten toskanischen Städte dringt in meine Nase. Ich liebe diesen Geruch. Die ersten Seiten meines Reisetagebuchs füllen sich und dann ziehe ich los. Vor dem Hotel schaue ich nach rechts, dort geht es zur Sprachschule. Ich entscheide mich dafür nach links zu gehen und bummle los - vorbei an der kleinen Kirche, in der ich zwei Kerzen anzünde.

Ich komme auf die Piazza Grande und bestelle mir in einem Café einen Espresso und ein Schälchen Oliven. Hier habe ich schon einmal gesessen. Ich mache Fotos und verschicke sie. Später stehe ich vor dem Palazzo Ricci, der Europäischen Akademie für Musik und Darstellende Kunst, und in dessen Keller sich eine riesige Weinkathedrale befindet. Diese beherbergt riesige Weinfässer und Fässer mit Olivenöl. Durch eine offene Tür höre ich leise Geigenmusik. Ich verweile und lausche eine Weile und folge dann einer Gruppe fröhlicher schwedischer Touristen hinab in den Weinkeller. Dort zahle ich meinen Obolus und nehme an einer Führung mit anschließender Weinverkostung teil. Natürlich bestelle ich eine Kiste Vino Nobile di Montepulciano und eine Kiste Olivenöl, mit je sechs Flaschen, die, wie mir versichert wird, unversehrt nach Hause geliefert wird. 

Mein Blick auf die Uhr sagt mir, dass ich noch zwei Stunden Zeit habe, bis ich in der Sprachschule erwartet werde. Ich nutze die Zeit und lege mich noch etwas hin. Dann ist es soweit, ich verlasse das Hotel und bin kurze Zeit später am Ziel meiner Reise. In dem alten Gebäude, in dem die Sprachschule untergebracht ist, riecht es wie in einem alten Museum. Mich begrüßt eine freundliche Frau, sie spricht etwas Deutsch und stellt sich vor. Aus dem Nebenraum höre ich Stimmen und wir gehen gemeinsam zu den anderen bereits eingetroffenen künftigen Schülerinnen und Schülern. 

Der Nachmittag/ Abend ist gefüllt mit Leichtigkeit, Lachen und dem Vorstellen und Kennenlernen der Lehrer und Schüler. Es sind fünf Klassen mit einer variierenden Schülerzahl - jeweils aber unter zehn Teilnehmern, die aus Schweden, Deutschland, Frankreich, der Schweiz, Spanien und Australien kommen. Dank der mehr oder wenigen guten Englischkenntnisse können wir uns gut verständigen. Neben den Unterlagen, die wir ab morgen benötigen, bekommen wir viele Informationen; es gibt einen leichten Imbiss, Rotwein und Weißwein aus der Region sowie kühle Getränke. 

Der schöne Abend geht viel zu schnell zu Ende und auf dem Weg zurück zum Hotel stelle ich fest, dass aus der Gruppe, die mit mir in meine Richtung läuft, weitere vier Teilnehmer in meinem Hotel untergebracht sind. Zwei Freundinnen aus Schweden und ein älteres Ehepaar aus Spanien. Wir erzählen noch ein Weilchen in der Lobby und dann falle ich müde von den vielen Eindrücken in mein Bett. Ich freue mich auf morgen.



Toskana 🌿☀️🌾
(Montag)

Ein sonniger Morgen, raus aus dem Bett, ab ins Bad und nach dem Frühstück geht es los - endlich. Auf halber Strecke merke ich, dass ich meinen Zimmerschlüssel vergessen habe, er steckt noch in der Tür meines Hotelzimmers. Da ich zeitig genug losgelaufen bin, um in der Ruhe des Morgens zur Sprachschule zu bummeln, schaffe ich es doch noch pünktlich zum Unterricht. 

Wir sind sieben Teilnehmer in meiner Klasse. Es ist die Klasse für Einsteiger. Ursprünglich sollten wir zu acht sein, doch ein Chinese musste absagen, er hat sich wohl irgendein neuartiges Virus eingefangen. Neben mir sitzt das ältere spanische Ehepaar aus meinem Hotel. Unsere Lehrerin heißt Maria Martinelli, sie ist um die 40 und sehr freundlich. 

Bis zum Nachmittag lernen wir Zahlen, Wochentage, Monate, Jahreszeiten sowie die Namen und die Anrede von Familienmitgliedern, Nachbarn und Freunden. Es ist eine lockere Atmosphäre, kein Frontalunterricht und ich merke, dass es sich mit fast 50 nicht mehr ganz so schnell lernt, wie damals als Kind in der Schule. 

Die Hausaufgaben erledige ich im Hotelzimmer an einem kleinen Schreibtisch und bin grad so fertig, als wir uns 17 Uhr wieder in der Sprachschule treffen. Der Ausflug heute geht zu Fuss in ein Restaurant mitten in Montepulciano. Wir lernen, neben einem gemütlichen Beisammensein, das typische "Italienisch" in einem Restaurant - Begrüßung, Bestellung, Smalltalk und das Bezahlen zu voran gerückter Stunde. Es ist laut, wirr und keiner lacht über einen Fehler der anderen Schüler, denn wir sind alle blutige Anfänger. Doppelt interessant ist es für uns, da wir uns ja nur auf Englisch miteinander unterhalten können und diese Worte erst formulieren müssen, um sie dann ins Italienische umsetzen zu können. Bei den beiden Frauen aus Schweden klingen manche Worte in ihrer Aussprache ganz anders und so ändert sich unbewusst sogar manche Übersetzung, was Signora Martinelli schmunzelnd erklärt und wir dann alle herzhaft lachen dürfen. Wir lassen uns Pizza, Pasta und Vino Rosso schmecken und stellen später beim Espresso erschrocken fest, wie schnell die Zeit vergangen ist. 

Als wir übermütig aus dem Restaurant treten, regnet es und wir rufen uns unsere Verabschiedungen laut zu, während wir alle in verschiedene Richtungen davonlaufen. Im Hotelzimmer öffne ich als erstes das Fenster ganz weit. Tief atme ich die saubere frische Luft und den typischen Regenduft ein und denke an den morgigen Tag. Nach dem Unterricht fahren wir nach Pienza, in die kleine bezaubernde Stadt, in die ich mich im letzten Sommer verliebt habe. BUONA NOTTE, BELLA ITALIA. 



Toskana 🌿☀️🌾
(Dienstag)

Zeitgleich mit den beiden Schwedinnen verlasse ich das Hotel am Dienstagmorgen. Wir werten den gestrigen Abend im Restaurant aus und kichern über den Kellner, der mit einer von den Beiden flirten wollte und erst später mitbekommen hatte, dass die Zwei ein Paar sind. Und über eine weitere Szene lachen wir auch noch. Wir haben den Satz gelernt:

"Für mich bitte einen halben Liter Mineralwasser! "/ "Per me, mezza bottiglia di acqua minerale, per favore!" und danach haben alle gesagt "... wir wollen aber lieber Wein" 😅.

Heute geht es in der Sprachschule 
um das Thema Reisen. Wie reserviert man einen Sitzplatz im Zug? Und wann man nicht in eine Einbahnstraße fahren darf.... Der ältere spanische Herr aus unserer Klasse, der mit seiner Frau in meinem Hotel untergebracht ist, hat nach dem Vino Rosso gestern Abend Kopfschmerzen und soll auf Italienisch nach einer Kopfschmerztablette fragen. Die Schwedinnen sagen es ihm leise vor, er versteht es nicht und seine komische Frau rollt mit den Augen. "Puoi, per favore, darmi una pillola per il mal di testa?" lautet seine Frage und alle Frauen haben natürlich eine Kopfschmerztablette für ihn, auch Signora Martinelli. 

Sie erlässt uns heute die Hausaufgaben, denn wir 7 Schüler fahren direkt nach Unterrichtsschluss mit ihr nach Pienza. Wieder wird das Lernen mit dem Vergnüglichen verbunden. Wir fahren mit einem Bus, denn es ist unsere Hausaufgabe, beim Busfahrer unsere Tickets selbst zu lösen und nach dem Weg zu fragen.

Pienza ist wieder traumhaft schön, genauso wie das Wetter. Durch eine schmale Gasse erreichen wir das Zentrum. Uns empfängt der Geruch des Pecorino di Pienza, dem bekannten italienischen Schafskäse. Während alle ein Stück Pecorino kosten wollen, überlege ich mir schnell eine Ausrede, und sage zu Signora Martinelli, dass ich eine Toilette aufsuchen muss. Und prompt finde ich nicht zurück in das Geschäft, was ist so typisch für mich ist. Ich schaue die Straße auf und ab und dann .... , dann höre und sehe ich die Bande laut schwatzend und winkend auf mich zukommen. Wir setzen uns in das nächste Café, trinken Espresso und Kaffee und warten dort darauf, dass wir den Stadtführer treffen werden.

Dieser erklärt uns die Geschichte Pienzas zum Glück auf Englisch, nur die Fragen, die er uns stellt, sind auf Italienisch - aus welchem Land wir angereist sind, wie wir heißen und ob es uns hier gefällt. Ich erkenne in einer Gasse ein Fenster mit gehäkelten Gardinen. Vor diesem Haus bin ich letztes Jahr stehengeblieben und habe ein Foto  gemacht. Auch an der Straße mit dem Namen "Straße der Liebe " / " Via dell' Amore" bleiben wir stehen und ich denke daran, dass ich auch hier schon einmal ein Foto von diesem Motiv gemacht habe, keine 12 Monate her. Ja, Pienza ist traumhaft schön. Ich genieße es so sehr wieder hier zu sein. 

Nach einem leichten Abendessen mit Antipasti, Weißbrot und der Verkostung verschiedener Olivenöle, machen wir uns wieder auf die Rückfahrt nach Montepulciano. Der Busfahrer spürt unsere Freude und die gute Stimmung und dreht das Radio lauter; wer kann, singt mit. Beschwingt summe ich im Hotel unter der Dusche weiter und falle müde aber glücklich in mein weiches Bett.



Toskana 🌿☀️🌾
(Mittwoch)

Das sanfte Klopfen der Regentropfen weckt mich noch vor meinem Wecker. Die Tropfen prasseln gegen das Fenster, sammeln sich auf dem Glas und rollen wie Perlen am Fenster herab. Ich habe noch zwei Stunden Zeit und kuschle mich wieder ein. Als ich erneut erwache, sagt mir ein Gefühl, jetzt doch schon aufzustehen. Und dann sehe ich vor dem Fenster den Zauber, der mich instinktiv geweckt hat. Ich ziehe mir fix etwas über, schnappe meine Kamera und flitze im Hotel so hoch ich kann. Am Ende des Flurs ist ein kleiner Balkon und ich freue mich über jedes einzelne Foto, das mir gelingt. Rings um das Städtchen Montepulciano, welches etwas höher liegt, ist alles in zarten Nebel getaucht. Die Sonne schickt ihre Strahlen durch die ersten Wolkenlücken, es ist so wunderschön. Durch den Nebel tönen alle Geräusche wie durch Watte; die Kombination aus Stille und Nebel wirkt sehr beruhigend. 

Als hätte Signora Martinelli es geahnt, lernen wir heute die italienischen Begriffe der Natur: 
die Sonne - il Sole, 
der Mond - la Luna, 
die Sterne - le Stelle und 
der Nebel - la Nebbia. 

Eine Lektion, die wohl allen Teilnehmern gefällt, denn ich bin nicht die einzige, die "nebelsüchtig" ist. Lediglich die Frau des älteren spanischen Ehepaares aus meinem Hotel, rollt erneut mit den Augen, als ihr Mann sein Handy zückt und uns seine Nebelbilder von heute Morgen zeigt; sie sind übrigens sehr schön geworden. Unsere Hausaufgabe ist es heute, die Natur des Monats zu beschreiben, in dem wir Geburtstag haben. Das macht mir viel Freude, denn der Mai hat viele Wunder der Natur zu bieten.

Da ich diesmal zeitig fertig bin, setze ich mich mit einem Espresso in die Sonne vor das Hotel. Die freundliche Mama hinter der Rezeption erklärt mir mit Händen und Füßen, dass das Wetter in der Toskana sehr schnell umschlägt und es nie länger regnet. Aber immerhin - denn wenn ich an mein trockenes Auenland zu Hause denke ..... 

Gegen 17 Uhr treffen wir uns wieder an der Sprachschule und fahren mit zwei Taxen zu einer Weinverkostung, keine zehn Minuten von Montepulciano entfernt. Leider ist es noch nicht warm genug, um im Freien zwischen den Weinhängen zu sitzen, die Abende sind noch zu kühl. Und so probieren wir in einem gemütlichen Weinkeller drei verschiedene regionale Weine. Den Dessertwein lasse ich aus, er ist mir vom Geruch her schon zu süß. Doch die beiden Rotweine sind sehr lecker. Einer hat eher einen samtigen, weichen Geschmack mit einem Hauch Vanille und der andere eine überwiegend fruchtige Note. 

Heute Abend will anfangs keine lustige Stimmung aufkommen. Jeder scheint mit sich beschäftigt zu sein. Die beiden Schwedinnen sind heute sehr vertraut miteinander und dem älteren spanischen Ehepaar sieht man von weitem schon an, wie wenig sie sich zu sagen haben. Marie, eine Französin in meinem Alter, die sehr viel telefoniert und Henry, ein lustiger Australier, der jüngste von uns, der aussieht wie Alan Delon in jungen Jahren, und der versucht sich das Rauchen abzugewöhnen, sitzen mir gegenüber. Vor der Tür stehen noch die beiden Taxifahrer und rauchen, sie lachen und sprechen relativ schnell miteinander, so dass ich nichts verstehen kann. 

Dann steht Signora Martinelli, die neben mir sitzt, auf und geht zu ihnen ins Freie. Erst schaue ich etwas ungläubig, als sie den älteren Fahrer umarmt und ihm einen Kuss auf die Nasenspitze gibt. Dann kommen die Drei herein und Signora Martinelli stellt uns ihren Ehemann und ihren Schwager vor. Nach der Weinverkostung wird es dann doch schnell lustig. Dem Weinbauern scheint diese trübe Runde heute auch nicht zu gefallen, daher dreht er die Musik auf und bittet alle zum Tanz. Ich muss lachen, weil ich zu Hause regelmäßig Alexa bitte, italienische Musik zu spielen und sie bietet mir die gleichen Schlager an, die wir nun hören. 

Der Weinbauer deutet mein Lachen falsch, grinst und  fordert mich zum Tanz auf und bald tanzen alle mit. Jeder tanzt mal mit jedem und weil sich der Weinbauer darüber so sehr freut, spendiert er zwei Flaschen Grappa. Da ich keinen Grappa mag, bekomme ich noch ein Glas Rotwein und sehe dem Verfall der Bande zu, die mit jedem Grappa immer lustiger wird. Henry raucht jetzt mit den Fahrern vor der Tür und Marie sagt alle zehn Minuten "Molto bene" oder "Bravissimi". 

Die einzige von uns, die keine Freude zeigen kann, ist die Frau des spanischen Ehepaars aus meinem Hotel. Ihr Mann dagegen lässt jetzt keinen Tanz aus und trinkt erst mit den beiden Schwedinnen Brüderschaft und später mit allen Teilnehmern, Signora Martinelli, ihrem Mann, ihrem Schwager und zum Schluss mit Adolfo, dem Weinbauern. Wir machen noch ein Gruppenselfi mit Adolfo in der Mitte und brechen kurz vor Mitternacht auf. Vor der Tür entschließen wir uns zu Fuß zu gehen, da auch die Männer der Familie Martinelli nicht mehr fahren können. Signora Martinelli schlägt vor, den Unterricht morgen um eine Stunde zu verschieben, somit können wir alle etwas länger schlafen. 

Nach einer knappen Stunde stehen wir wieder vor der Sprachschule, verabschieden uns voneinander und jeder geht in sein Hotel. Der Vollmond leuchtet mit den Straßenlaternen von Montepulciano um die Wette. Die frische Luft hat gut getan. Bevor ich einschlafen kann, höre ich laute Stimmen, diesmal nicht vor meinem Fenster, sondern im Zimmer nebenan und auf dem Flur. Das ältere spanische Ehepaar streitet lautstark und ich frage mich, ob der Grund vielleicht noch immer die wunderschönen Nebelbilder von heute Morgen sind. Plötzlich knallt eine Zimmertür laut ins Schloss und dann ist es still. Jetzt hat er sie erwürgt, denke ich belustigt und schlafe kurz darauf ein.



Toskana 🌿☀️🌾
(Donnerstag)

Im Restaurant des Hotels sitze ich am Morgen bei meinem zweiten Morgenkaffee und lasse den gestrigen Abend Revue passieren. Erst lächle ich, als ich an das Wirrwarr im Weinkeller denke, wie ich den "GrappaVerfall" der anderen beobachten konnte und dann denke ich an das ältere Ehepaar. Mich beschleicht ein mulmiges Gefühl. Was war in der Nacht nur los im Zimmer nebenan? Da kommen Anuk und Frida, die beiden Freundinnen aus Schweden zu mir an den Tisch und bestellen ebenfalls Kaffee. Sie fragen mich, ob ich den Radau in der Nacht gehört hätte. Wir spekulieren über den Ausgang des Streits. Von dem älteren Ehepaar hören und sehen wir nichts bis wir später das Hotel zusammen verlassen werden. 

Im Innenhof des Hotels stehen solche Pflanzkübel, wie wir sie im Auenland im Winter einschlagen und vor dem Frost schützen müssen. Die Düfte der Blüten sind sehr aromatisch, und das satte Grün ist eine Wohltat für die Augen. Da wir heute gemeinsam zur Sprachschule gehen wollen, setze ich mich in der warmen Morgensonne zwischen die Pflanzen auf eine Bank und warte auf Frida und Anuk. 

Als der Unterricht bereits begonnen hat, klopft es leise an der Tür. Ich hole tief Luft und bin sehr froh, als Josè, der Mann des Ehepaares, sich entschuldigend auf seinen Platz setzt. OMG, hat er seine Frau tatsächlich erwürgt oder sie geknebelt im Wald ausgesetzt? Ich sitze nicht als einzige wie auf Kohlen bis endlich die Pause beginnt. Dann erzählt Josè, dass seine Frau, nachdem wir im Hotel angekommen waren, ihre Koffer gepackt hätte und abgereist sei. Josè ist jetzt kaum wiederzuerkennen, seine Augen strahlen und er antwortet wortgewandt und mit viel Esprit auf die Fragen von Signora Martinelli. Ich spüre die Blicke von Anuk und Frida und zucke mit den Schultern. 

Signora Martinelli tut zum Unterrichtsende sehr geheimnisvoll was unseren heutigen Ausflug betrifft. Wir sollen mit einer Decke am späten Nachmittag wieder zur Schule kommen. Ich bin sehr gespannt und lege mich noch etwas hin, stelle meinen Wecker und erscheine ausgeruht und mit einer warmen Decke zur ausgemachten Zeit am Treffpunkt. Am heutigen Ausflug nehmen alle ca. 50 Schüler und Lehrer der Sprachschule teil. Zwei Busse fahren vor und wir steigen ein. Das Ziel der Reise ist der Fluss Orcia im Tal, an dessen Ufer wir ein Picknick veranstalten werden. 

Unsere Fahrt dauert knapp 30 Minuten, die Busfahrer suchen zwei Stellplätze nebeneinander und wir sammeln uns in der Nachmittagssonne auf dem Parkplatz. Der steinige Weg zum Flussbett ist beschwerlich, denn wir müssen bergab laufen. Der Orcia ist nicht tief und die kleinen Fische scheinen im Wasser in allen Farben zu glitzern. Ich staune und denke an die Geschichte vom bunten Regenbogenfisch.

Am Ufer liegen weitere Decken, und ein Picknick mit Broten, Oliven, Käse, Tomaten und Weintrauben erwartet uns. Nachdem die Feuerschalen entzündet sind, hören wir etwas weiter entfernt abwechselnd Geigenklänge, Harfenmusik und die sehnsuchtsvolle Melodie eines Cellos. Wir hören nach der klassischen Musik dieser Instrumente als Abschluss das Solo eines Saxophons. Mit "Summertime" geht das wundervolle kleine Konzert zu Ende. Es ist ein anders Picknick, organisiert von der Europäischen Musikakademie. Ich genieße diese wundervolle Stimmung - die leisen Klänge der Musik, das Plätschern der kleinen Wellen auf der Oberfläche des Orcia, die Wärme meiner Decke, die rote Glut der Feuerschalen und am Himmel die untergehende Sonne abgelöst vom ersten zarten Mondlicht. Ich fühle so sehr und erkenne in all den Menschen um mich herum, wie auch sie fühlen - mit ihren Herzen. 

Später, auf dem Weg hinauf zum Parkplatz, begleite ich Henry, der uns am Morgen blass im Gesicht geschworen hat, nie wieder Grappa zu trinken und zu rauchen, und der auch seine Brille nach der Weinverkostung verloren hatte. Im Bus sitze ich mit Josè, Marie und Henry zusammen. Dann zeigt uns Josè auf seinem Handy all die Fotos, die er in den letzten Tagen gemacht hat. Wir ermuntern ihn, dieses Hobby weiter auszubauen. Er hat ein gutes Auge für Details.

Im Hotel erwartet uns die Mama von der Rezeption mit Espresso und wir nehmen im Foyer Platz - Frida, Anuk, Josè und ich. Frida und Anuk erzählen davon, dass es in ihrer Heimat in Schweden als gleichgeschlechtliches Paar einige Hürden zu überwinden gibt und das sie im Herbst heiraten wollen. Josè hat viele Fragen an die Beiden und ich merke, wie mir die Augen immer wieder zufallen. Nach einer Weile verabschiede ich mich. Als ich später aus meinem Bad komme, sehe ich eine rothaarige Katze vor meinem Fenster auf dem Fensterbrett sitzen. Ich gähne laut und kuschle mich in mein weiches Bett. Die Katze - il Gatto, denke ich und falle müde in einen tiefen Schlaf.



Toskana 🌿☀️🌾
(Freitag)

Buongiorno Italia - heute ist der letzte Schultag. Ich erwache, strecke mich und sehe, dass die Katze mit dem roten Fell noch immer auf dem Fensterbrett liegt. Langsam bewege ich mich zum Fenster, öfffne es und berühre vorsichtig ihr weiches Fell. Sie sieht mich mit ihren grünen Augen an und ich höre sie leise schnurren. Sie ist sehr zutraulich und kommt langsam immer näher geschlichen, bis sie auf meinen Arm ist. Ihr Schnurren ist sehr beruhigend und ich spüre ihre Wärme. Beim Frühstück lege ich zwei Scheiben Wurst in meine Serviette und schmuggel das kleine Frühstück für mein Kätzchen an der Rezeption vorbei. Bevor ich zur Schule gehe, zerpflücke ich die Wurstscheiben und lege sie auf das Fensterbrett. 

In der Sprachschule möchte Signora Martinelli wissen, was uns in dieser Woche besonders gefallen hat. Unser Feedback ist ihr wichtig. Wir dürfen uns anschließend aussuchen, was wir heute lernen oder vertiefen wollen und entscheiden uns für alltägliche Redewendungen, weil diese uns fließend über die Lippen kommen sollten.

Gegen Mittag endet der Unterricht und erneut fahren alle Teilnehmer und Lehrer gemeinsam mit den zwei Bussen zu einem Ausflug. Heute ist das Highlight der Woche - wir fahren nach San Gimignano. Diese alte Stadt wird auch das Manhattan der Toskana genannt; angelehnt an die vielen Türme. Ich freue mich riesig, denn in dieser Stadt war ich auch schon einmal. Neben mir im Bus sitzen Marie aus Frankreich und Henry aus Australien. Wir versuchen jeder sein schönstes Erlebnis zu benennen. Mir fällt das sehr schwer - jeder Tag hatte etwas Besonderes, ob in der Schule oder bei den Ausflügen. 

Marie ist ganz verschnupft und hustet schon den ganzen Tag. Ich frage sie, ob und wo sie sich so erkältet hat. Aber Marie verneint, sie hätte eine Tierhaarallergie und kann sich gar nicht vorstellen, woher sie jetzt diese starken Beschwerden hat. Marie schaut genauer auf meinen Pullover und sammelt mir zwei / drei kurze rote Haare ab. Da fällt mir die Katze vom Fensterbrett meines Hotelzimmers ein. Wieder niest Marie und dann erzähle ich ihr von meiner morgendlichen Schmuserei. Marie entschuldigt sich und setzt sich ganz weit vorn zum Busfahrer. 

Nach zwei Stunden sind wir am Ziel. San Gimignano ist eine italienische Hügelstadt, südwestlich von Florenz. Wir bummeln durch die Tore ins Zentrum, setzen uns auf die große Steintreppe unweit vom Marktplatz und machen hier ein Gruppenfoto. Alle rufen "Pastaaaaaa" und lachen in die Kamera von Signora Martinelli. Dann werden Telefonnummern getauscht und wir verabreden uns, um für das nächste Frühjahr wieder zusammen einen Kurs zu belegen. Dabei schleckern wir Eis aus der Eisdiele am großen Marktplatz. Ringsum die vielen Türme beeindrucken mich wieder sehr. Die beiden höchsten Türme sind um 1310 entstanden. 

Wir haben die Auswahl zwischen einer Stadtführung und einem Besuch im Museum of Torture, dem Foltermuseum. Weil ich in diesem Museum schon einmal war, entscheide ich mich für die Stadtführung. Diese wird auf Englisch und Italienisch gesprochen. Ich freue mich, dass der Stadtführer bewusst langsam spricht, denn dadurch verstehe ich ein paar Worte. 

An der Westseite der Stadtmauer werden wir zum Abendessen erwartet, heute ist es noch warm und so können wir draußen den Aperitivo zu uns nehmen. Etwas später kommt auch die Gruppe aus dem Museum dazu, die Besucher berichten erschüttert von den Abartigkeiten der Folterinstrumente aus dem Mittelalter. 

Unsere "Hotelgruppe" sitzt zum Essen im Restaurant gemeinsam an einem Tisch, es gibt Pizza und Pasta, Rotwein und Weißwein und später Espresso. Wir stellen fest, dass unsere Flieger morgen innerhalb von zwei Stunden starten und wir daher den gleichen Zug nach Florenz nehmen. Wir bitten Signora Martinelli ihren Schwager anzurufen, und ihn zu fragen, ob er uns vier mit seinem Taxi die 12 Kilometer zum Bahnhof fährt. Doch sie antwortet: " No", tippt die Nummer ihres Schwagers ins Handy und reicht es uns. Wir müssen selbst mit ihm sprechen. Wir lachen, überlegen und bringen es dann gemeinsam doch zu Stande, dass er um 06:45 zum Hotel kommt. 

Die Rückfahrt erscheint mir länger, ich bin müde und nicke immer wieder ein. Doch der Kopf von Frida, die nun neben mir sitzt, rollt immer auf meine Schulter und das weckt mich jedes Mal auf. Marie sitzt wieder vorn beim Busfahrer und winkt mir ab und zu lächelnd zu. Mit ihren Lippen formt sie ein leises "Miau" und ich lache zurück. Wenigstens hustet und niest sie nicht mehr. 

Im Hotel liegt ein Zettel für uns. Die Rezeption und der Frühstücksraum öffnen morgen früh zeitig genug, so dass wir in Ruhe auschecken und noch frühstücken können. Ich öffne wieder das Fenster weit und lausche der Turmuhr. Die Wurstscheiben von heute Morgen sind weg - und die rothaarige Katze auch. Dann dusche ich heiß, stelle meinen Wecker auf 5 Uhr und schlafe sofort ein.



Toskana / München 🌿☀️🌾
(Samstag)

Es ist 5 Uhr, mein Wecker klingelt und ich möchte gar nicht aufstehen. Ich möchte nicht aus diesem weichen Bett, in diesem schönen Hotel, der wunderschönen Stadt und der einzigartigen Toskana ....... doch der Flieger wartet nicht auf mich. Müde schlurfe ich ins Bad, dusche, mache mich zu recht für den Tag und ordne dann meinen Koffer und das Zimmer. Die rothaarige Katze schaut durch das Fenster, ich bin geneigt sie noch einmal zu streicheln, doch die Zeit drängt.

Beim Frühstück sitzen wir vier zusammen, wir sind die einzigen Gäste um diese Uhrzeit. Der Kaffee ist wieder lecker, Josè wirkt angespannt und Frida & Anuk sehe ich die kurze Nacht an. Alle knabbern schweigend an ihrem Croissant. Die Mama an der Rezeption macht unsere Rechnungen fertig und dann stehen wir schon mit unseren Koffern vor dem Hotel. Die Morgensonne wärmt bereits und noch einmal atme ich den wunderbaren Duft der Blüten ein, der vom Innenhof durch den Hotelflur bis zu uns auf die Straße drängt. Wir schauen nach links und wieder nach rechts aber von unserem Taxi und von Signor Martinelli fehlt jede Spur. Wir gehen noch einmal unseren Anruf von gestern Abend durch und dann dämmert es uns .... auf Italienisch haben wir statt 06:45 tatsächlich 07:45 zu ihm gesagt. Den Zug schaffen wir nicht mehr, auch hat niemand von uns die Handynummer. 

Ich setze mich auf eine Bank vor dem Hotel und halte mein Gesicht in die Morgensonne. Was nun? Da hupt es und Signor Martinelli kommt mit dem Taxi angebraust. So viele Züge fahren nicht von diesem Haltepunkt, erzählt er lachend, als er Gas gibt und mit uns davonfährt. Wir sind nicht die Ersten, denen dieses Missgeschick mit der Uhrzeit passiert ist. 

Die Tickets lösen wir im Zug und sind gegen 11 Uhr in Florenz am Bahnhof. Mein Flieger nach München geht 13:10 Uhr, ich starte als Erste von uns. Nun heißt es Abschied nehmen. Abschied von Josè aus Spanien und Frida & Anuk aus Schweden. Ich checke ein, gebe meinen Koffer auf und sitze kurze Zeit später im Flieger. Dieser hebt wieder ruhig ab und dann wird Florenz unter mir immer kleiner. Der Pilot dreht eine Schleife. Fast wie ein Geschenk zum Abschied, zeigt sich Florenz noch einmal in seiner ganzen Größe und Schönheit. Dann komme ich zur Ruhe und hänge meinen Gedanken nach. Diese Tage waren sehr intensiv, voller wunderschöner Erlebnisse und ich habe viele interessante und freundliche Menschen kennengelernt. Manche sehe ich nächstes Jahr vielleicht wieder, auf jeden Fall Signora Martinelli. 

Über München sind dichte Wolken - oh nö, denke ich noch und dann beginnt der Landeanflug. Wir durchfliegen die Wolken, kommen tiefer und es wird immer heller. Ich schaue aus dem Fenster und freue mich, denn gleich kann ich ohne Luft zu holen aaaaaaaalles meiner Cousine erzählen, die mich wieder vom Flughafen abholt.

Wir landen etwas holprig, rollen über das Rollfeld und ich habe auch bald meinen Koffer wieder in der Hand. OMG, diese vielen Menschen, denke ich und hole tief Luft. Doch dann sehe ich von weitem schon meine Cousine winken.

Die Sonne setzt sich durch und als wir später bei ihr zu Hause ankommen, können wir uns auf die Terrasse setzen. Wieder schicke ich ein "Ich bin gelandet, alles okay" in die Welt. Dann gibt es viel zu erzählen - es wird ein langer Abend mit original Pasta und einem Chianti aus meinem Koffer. Auf der Terrasse steht ein Topf Rosmarin. Ich atme seinen Duft ein, hänge meinen Gedanken nach und lächle - innerlich und äußerlich 🌿.





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