Teil 2 Helenes Osterwunsch und die Kraft des goldenen Osterei's



Die diebische Elster kam nicht sehr weit. Das goldene Ei war für ihren Schnabel zu groß und zu glatt. Es war ihr aus dem Schnabel gerutscht und in Helenes Garten, in das Gras neben die ersten Tulpenknospen, gefallen. Das zarte, grüne Gras hatte das Ei vorsichtig aufgefangen und vor den Augen der Elster versteckt.

Und so glänzte das goldene Ei am Ostermorgen im ersten Sonnenlicht, als der Tag erst begonnen und sich Morgentau auf die Blätter gelegt hatte. Auch diese Tropfen glänzten und glitzerten im behutsamen Licht des Morgens. Es war die Zeit am Tag, die Helene so sehr mochte, alles wirkte frisch und rein. Die Stille, die den Garten umgab, würde eine Stunde später gegen die Geräusche des Tages kämpfen und verlieren.

Helenes Irish Setter hatte an der Haustür gesessen und Helene so lange gelockt, bis sie mit ihm in den großen Garten gegangen war. Er tollte umher, schnüffelte, fing die Bälle, die Helene zu ihm warf und rannte verspielt über die Wiese. Dann blieb es still und Helene rief nach ihm. Sie sah ihn weiter hinten bei den Tannen, sah sein rotbraunes, weiches Fell und setzte sich auf die Gartenbank unter den Nussbaum.

Helene war sehr nachdenklich. Dieses  Ostern würde sie nicht vergessen. Das Virus, das die Welt in Atem hielt, hatte auch Helene in die Knie gezwungen. Das Schreibbüro, in dem sie arbeitete, hatte geschlossen und alle Mitarbeiter mussten nun zu Hause bleiben. Für wie lange? Und wie wird es weitergehen, fragte sich Helene. Sie war jung, hatte das Leben mit zwei Dritteln noch vor sich. Und doch hatte sie Sorgen vor dem, was kommen würde. Wie würde die Welt aussehen, was würde sich ändern, wenn die Krise überstanden ist? Und wann wird das sein? Alle ihre Lieben mussten zu Hause bleiben, es würde kein Familienfest geben, so wie sonst. Sie würde auch ihre Freunde nicht beim Osterfeuer treffen. Helene schloss die Augen und fühlte die Morgensonne in ihrem Gesicht. Sie dachte an den Mann, der ihr Herz erobert hatte und der zu Ostern zu ihr kommen wollte. Ihre Liebe war noch jung. Doch auch ihn konnte, durfte sie nicht sehen.

Helene seufzte und öffnete die Augen. Etwas ließ Helene blinzeln. Sie stand auf, bückte sich und sah das goldene Osterei im Gras zwischen den zarten Tulpenknospen, an denen sich Helene nicht sattsehen konnte.



Vorsichtig nahm sie es in die Hand. Es war ganz glatt und warm. Diese Wärme übertrug sich auf Helene und sie spürte eine Kraft, ein wohliges Gefühl, das von dem Ei ausging. Helene wurde müde. Sie sah Jussi, ihren Setter, wie er mit einem Schmetterling spielte, der sich auf seine Stirn gesetzt hatte. Helene nahm sich eine warme Decke und kuschelte sich ein. Die Gartenliege war bequem, Helenes Arme und Beine wurden schwer, ihre Augenlider auch und so schlief sie mit dem goldenen Ei in der Hand ein.

War das alles vielleicht nur ein Traum? Sie fühlte eine warme Hand zärtlich an ihrer Wange, hörte Jussi aufgeregt und freudig bellen, sah von Weitem ihre Eltern und Geschwister am Zaun winken und von Nahem die Augen des Mannes, auf den sie so sehr gewartet hatte. Ich möchte nicht aufwachen, dachte Helene, dieser Traum ist so schön.

Was war nun Traum und was war Realität? War es der Wunschtraum, den ihr das goldene Ei zu Ostern geschenkt hatte? Für einen Moment die Liebe und das Leben spüren, die Leichtigkeit und ganz ohne Sorgen sein? Würde sie gleich aufwachen? Oder war dieser Albtraum nur ein Traum, der Helene nachdenklich gemacht hat?

Ich möchte nicht aufwachen, dachte Helene. Sie fühlte Jussis weiches Fell und spürte die Wärme des goldenen Ei's. Helene öffnete die Augen und sah ihren treuen Jussi vor sich sitzen. Noch immer saß der Zitronenfalter auf seinem Kopf. Helene lächelte und streichelte sein weiches Fell. In ihrer Jackentasche piepste es. Sie sah auf dem Display nun all die Ostergrüsse und Momentaufnahmen ihrer Familie, ihrer Freunde und die lieben Worte des Mannes, der in ihr Schmetterlinge auslöste - Zitronenfalter. Helene lächelte und wusste, dass sie alle diese Krise überstehen und sich bald wiedersehen würden.


Ostern 2020



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