Wenn es um das Vermissen geht ...


Die Frau, die auf dem Holzsteg eines Berliner Strandbades saß, wirkte mit ihrer weißen Badekappe, wie aus einer anderen Zeit. Die Wassertropfen auf ihrer weichen Haut, die nach Sonnencreme duftete, glänzten im warmen Sonnenlicht. Ihr Blick ruhte irgendwo auf der Wasseroberfläche vor dem anderen Ufer des Wannsees. Jeder, der sie so dasitzen sah, konnte spüren, dass ihre Gedanken sie weit weggeführt hatten. Ein paar junge Burschen lachten sorglos und sprangen neben ihr vom Steg in das kühle Wasser. Die Spritzer rissen die junge Frau mit den großen grünen Augen aus ihren Gedanken. Sie lächelte scheu den Jungen zu und suchte in ihrer Ledertasche, die neben der blauen Decke lag, nach ihrer Armbanduhr. Die nächste Straßenbahn würde sie bequem schaffen, dachte sie und nahm die Badekappe ab. Sie schüttelte das lange rote Haar, welches fast dieselbe Farbe hatte, wie die roten Streifen ihres rot\weiß gestreiften Badeanzuges, der inzwischen getrocknet war.

Rasch zog sie das dunkelblaue leichte Sommerkleid über, packte die Decke und ihr Buch in die Tasche und ging zur Haltestelle. In jeder Kurve quietschte die Straßenbahn, was die junge Frau aber nicht davon abhielt, in das Buch zu schauen, welches sie in den Händen hielt. Später konnte sie sich nicht genau an den Text erinnern, denn während der Fahrt drifteten ihre Gedanken wieder zu ihm. Zu jenem Mann, der ihr Herz berührt hatte.

Die Wohnung der jungen Frau lag im ersten Stockwerk eines sanierten Mehrfamilienhauses, wie es in Berlins Zentrum Tausende solcher Häuser gab. Sie öffnete alle Fenster und tauschte die abgestandene Luft des Tages gegen den typischen Duft eines lauen Sommerabends ein. Auch in dieser sauberen und gemütlich eingerichteten Wohnung schien die Zeit stehengeblieben zu sein. Kein Fernseher, keine Musikanlage aber dafür unzählige Bücher in den Schränken und Regalen.

Trotz des leichten Sommerkleides spürte die junge Frau, am Fensterrahmen angelehnt stehend, wie sehr sie schon wieder schwitzte. Dieser Sommer war lang, die Tage sehr warm und die Nächte kühlten sich kaum ab.

Nach einer erfrischenden Dusche wickelte sich die junge Frau in ein weiches Duschtuch und legte sich auf ihr Bett. Das schwarze Telefon, das auf einem Schränkchen neben ihrem Bett stand, hatte eine lange Telefonschnur, wodurch sie, bequem auf dem Bett liegend, lange Gespräche führen konnte. Doch seit Tagen schwieg das Telefon. Sie nahm den Hörer ab, wählte seine Nummer und wieder blieb es still. Mit verschränkten Armen unter dem Kopf und auf dem Rücken liegend, starrte sie an die Decke.



Durstig ging sie nach einer Weile in die Küche, öffnete den Kühlschrank, goss sich kalte Zitronenlimonade in ein Glas und ging zum Fenster. Sanft wehten die leichten Vorhänge in das Zimmer. Mit dem Glas kalter Limonade kühlte sie ihre warme Stirn und schaute in den immer dunkler werdenden Park gegenüber. Die Abendsonne versank hinter den Bäumen und nahm das letzte orangefarbene Licht mit sich. Und während der Abend in die Nacht überging, änderten sich auch die Geräusche der Stadt - alles schien ruhiger zu werden. Das Lachen der Kinder schien ihnen in den Schlaf gefolgt zu sein, die Stimmen der wenigen Menschen auf den Straßen klangen gedämpfter und auch die Anzahl der Autos schien abgenommen zu haben. Einzig das Quietschen der Straßenbahnen blieb gleich, Tag und Nacht.

Mit offenen Augen, noch am Fenster stehend, träumte sie von ihm, dachte sie daran, was er wohl grad machte. Sie dachte an die letzten Wochen, in denen sie so glücklich war, wie schon lange nicht mehr. Sie lächelte und sah ihn in Gedanken vor sich. Und während inzwischen das weiche Mondlicht ihre Wohnung erhellte, klingelte das schwarze Telefon. "Endlich ...." flüsterte sie leise und liebevoll in den Hörer und lächelte erneut.

PS: .... für alle jene Frauen, die auf diesen einen Anruf warten 📞




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