Das Unwetter, ein altes Haus und die Elbe






Es ist ein später Nachmittag Ende September, die Luft ist noch warm und ich fahre mit dem Fahrrad den ausgetrockneten und rissigen Weg zur Elbe. Er schlängelt sich quer über die Elbwiesen. Das dunkle Gelb der Wiesen, ein untrügliches Zeichen des nahenden Herbstes, leuchtet malerisch in der Sonne. Ich sehe die ersten Strohballen auf einem Feld liegen und seufze. Sie erinnern mich daran, dass der Sommer in seinen letzten Atemzügen liegt. 



Achtlos lege ich mein Fahrrad am Elbufer in das Gras. Zuerst spüre ich den feinen Sand unter meinen Füßen und zwischen den Zehen. Er fühlt sich ganz weich an. Ein kleiner Marienkäfer krabbelt durch den Sand und ich beobachte ihn für einen Moment.




Das kühle Wasser der Elbe umspielt meine Füße und ich schaue in den Himmel. Keine Wolke ist zu sehen. Himmelblau ist das wohl schönste Blau, denke ich und die Sonne wärmt mein Gesicht. Ich schließe meine Augen und atme tief ein.




Als ich einen Wiesenstrauß gepflückt habe und wieder in den Himmel schaue, sehe ich die schwarze Wolkenwand auf mich zukommen. Schnell greife ich zu  meinem Fahrrad, lege den Strauß  in den Fahrradkorb und trete in die Pedalen. Ich habe nun das Gefühl, dass sich der trockene Sandweg ewig hinzieht. Die alten knorrigen Weiden trotzen dem aufkommenden Wind und ich komme kaum vorwärts. B
is nach Hause schaffe ich es nicht mehr, das wird mir schnell klar. Unweit steht ein altes Haus. Es ist schon viele Jahre unbewohnt. Oft habe ich an dem schmiedeeisernen Zaun gestanden und mir vorgestellt, welche Geschichten dieses alte Haus erlebt hat. Ich lehne mein Fahrrad an das Zauntor und schon prasseln die Regentropfen auf mich hinunter. Als ich die Eingangstür erreiche, kleben meine Sachen tropfnass an mir. Ich wische mir dir Haare aus dem Gesicht und drücke die Klinke hinunter.





 Die Tür öffnet sich mit einem quietschenden Geräusch. Nachdem ich einen Vorhang zur Seite ziehe, erkenne ich die Umrisse, der mit weißen Tüchern  abgedeckten Möbel. Es scheint das einzige bewohnte Zimmer zu sein. Alle anderen Räume sind leer. Das alte Haus gehörte einst einer Fabrikantenfamilie. Die Fabrik in der Nähe gibt es schon lange nicht mehr. Zwischen den Fundamenten wachsen Bäume und Sträucher. 





Da ich von Natur aus neugierig bin, laufe ich durch alle Räume. Es ist gespenstisch, wie das Licht der Blitze die Räume grell erleuchten lässt. Das Gewitter scheint sehr nah zu sein. Plötzlich klirrt es hinter mir. Langsam drehe ich mich um.  Alle Muskeln sind angespannt und ich überlege, von wo das Geräusch kam. Ein Fenster steht weit offen und die weißen Vorhänge wehen im Wind. Ich versuche das Fenster zu schließen. Als ich den Fenstergriff in der Hand halte, bricht dieser ab. Der Vorhang ist schon ganz nass. Notdürftig lehne ich das Fenster an. Da vernehme ich leise Schritte hinter mir. Ich atme tief ein, nehme all meinen Mut zusammen  und spüre, wie mir die Beine nachgeben. Der alte Mann, der später neben mir kniet, tätschelt meine Wangen. Als ich die Augen öffne, und sein freundliches Gesicht sehe, kann ich wieder durchatmen und richte mich auf. Er fragt mich was ich hier mache und hört mir zu, als ich ihm von dem Unwetter berichte, das mich überrascht hat. Dann stellt er sich vor, meint er hätte mein Fahrrad stehen sehen und das offene Fenster schließen wollen. 




Er ist der ehemalige Grundschullehrer des Dorfes und schaut hier ab und zu noch  vorbei. Seine gut 90 Jahre sieht man ihm nicht an. Er lebt nun in einem benachbarten Pflegeheim. Seine Frau sei vor zwei Jahren verstorben und die Kinder in die Ferne verzogen, erzählt mir der freundliche alte Mann. In der Hand hält er einen braunen Bilderrahmen, dessen Glas zersprungen ist. Das war wohl das klirrende Geräusch, welches mich vorhin erschreckt hatte. Auf dem Bild erkenne ich die Fotografie einer jungen Frau. Wir setzen uns auf die unterste Stufe der Treppe und er erzählt mir seine Lebensgeschichte. Von seinem Leben, seiner großen unerfüllten Liebe, seiner weit entfernten Familie und vom Alleinsein. Er fährt sacht mit seinen faltigen Händen über das Foto mit dem Gesicht der jungen Frau. Sie hieß Amanda und durfte nicht seine Frau werden. Es war damals eine andere Zeit. Ich sehe eine große Traurigkeit in seinen Augen. 




Als das Gewitter vorbei ist, verlassen wir gemeinsam das Haus und ich schiebe mein Fahrrad auf der Straße neben ihm her. Dann biegt er in eine Nebenstraße ab und wenig später winken wir uns noch einmal zu. In meiner noch feuchten Kleidung ist mir kalt geworden. Noch lange denke ich an diesem Abend an den freundlichen alten Mann mit den traurigen Augen .....





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