Sommerduft des Südens




Der erste Arbeitstag nach ihrem Urlaub war in der Firma lang und wollte nicht enden. Eine Sitzung folgte der nächsten und sie wusste, wenn sie noch all ihre Mails lesen und beantworten würde, wären Überstunden vorprogrammiert. Sie lehnte ihre Stirn gegen das kühle Glas des Fensters und schaute hinaus. Eine Frau, die mit einem kleinen Mädchen auf der Straße an ihrem Bürofenster vorbeilief, musste die Kleine festhalten, so sehr zerrte der Wind an den Beiden. Sie schloss ihre Augen. Es war sehr viel kühler, als in den drei Wochen zuvor.




Als am ersten Urlaubstag der Flieger auf dem Flughafen aufsetzte, umgab sie eine Wärme, die ihr gut tat. So lange hatte sie auf eine Urlaubsreise verzichten müssen. Das kleine Hotel erreichte sie mit einem Bus. Die freundliche Besitzerin, mit der sie sich auf Englisch verständigen konnte, zeigte ihr ein Zimmer am Ende des Flures. Es ging nach hinten zum angrenzenden Garten hinaus. Sie öffnete die Fenster und die Fensterläden. Der Blick in das grüne Tal, in dem Zypressen, Pinien und Olivenbäume wuchsen, war einzigartig und wunderschön. Im Garten vor ihrem Fenster stand ein alter Brunnen.




Genauso hatte sie sich dieses Land vorgestellt. Sanft wehte der Wind durch die Fenster in die hellen zarten Vorhänge und diese plusterten sich ins Zimmer hinein auf. Der Schrank, das Bett und der Fußboden waren aus Holz, dunkelbraun gestrichen und hoben sich von den hellen Wänden deutlich ab. Das Bett war weich und über das weiße Laken war eine dünne dunkelgrüne schlichte Leinendecke gelegt. Sie stellte ihre Tasche ab und ging in das saubere Bad mit den mediterranen Bodenfliesen. Im Spiegel konnte sie sehen, wie sich eine Strähne aus ihrem langen, roten und heute hochgesteckten Haar gelöst hatte. Sie schlüpfte in das weiße bodenlange Sommerkleid und stellte fest, dass die Farbe ihrer Haut, die nach Sonnencreme duftete, nicht viel dunkler war.




Noch am selben Tag bummelte sie durch den Ort, kaufte Ansichtskarten, setzte sich in ein kleines Café und genoss das langsame Treiben um sich herum, die freundlich und liebevoll klingende Sprache, die ihr noch fremd war, den warmen Wind auf ihrer Haut und die verschiedenen würzigen Düfte, die sie umgaben.




Mit einem Mietwagen entdeckte sie jeden Tag eine andere dieser kleinen mittelalterlichen Städte. Sie hielt mit ihrer Kamera die Bilder fest, die sie am meisten beeindruckten - alte Gebäude, kleine Balkone mit Messinggeländern, antike Schilder mit den jeweiligen Hausnummern, Hauseingänge mit verschiedenen alten Türknäufen und die hohen Fenster mit den Fensterläden aus Holz.








Während der Fahrt hielt sie oft an und machte Bilder von der sich ihr darbietenden Natur; den Hängen, den Bergen, den Plantagen und den Lavendelfeldern.




Sie fotografierte an einem Morgen, als sie sehr zeitig erwacht war, wie das erste zarte Sonnenlicht das Tal liebevoll weckte.




Am Meer fand sie einen wunderschönen, ovalen, grauen, glatten Stein. Sie spürte, dass von ihm eine gewisse Magie ausging, eine besondere Wärme.




Die Wochen vergingen, die beschriebenen Seiten in ihrem Reisetagebuch wurden immer mehr und die junge Frau verlor ihre Blässe. Am letzten Tag trug sie wieder das bodenlange weiße Kleid und sie nahm eine zarte Bräunung ihrer Haut wahr. Auch zeigten sich im Spiegel unzählige kleine Sommersprossen auf ihrer Nase und auf der Haut unter ihren grünen Augen, die sie von der Großmutter geerbt hatte. Den wundersamen glatten Stein legte sie in das Seitenfach ihrer hellbraunen Lederhandtasche.




Bevor sie der Bus, der sie zum Flughafen bringen würde, abholte, schaute sie noch einmal zu den hellen Stoffbahnen am Fenster, die sich wieder in das Zimmer hinein aufplusterten. Sie blickte noch einmal ins Tal, lächelte und schloss dann die Fensterläden und die Fenster.





Daran dachte sie jetzt, während sie ihre Stirn an die kühle Fensterscheibe hielt. Ihr fiel der glatte, ovale, graue Stein wieder ein und sie nahm ihn aus ihrer Handtasche heraus.




Als er in ihrer Hand lag, bemerkte sie wieder die von ihm ausgehende Wärme, spürte den Duft des ihr nun nicht mehr fremden Landes, sie hörte das Rauschen der Wellen am Meer und das Singen der Zikaden, das sogenannte Geräusch des Südens. Die Wärme in ihrer Hand breitete sich auf ihrem ganzen Körper aus. Der wundersame, graue, glatte, ovale Stein war ein Geschenk der Natur des Landes, das sie zu lieben gelernt hatte. 





PS: Diese Geschichte habe ich mit großem Fernweh geschrieben. Vielleicht schenkt sie dem einen oder anderen Leser Vorfreude auf den nächsten Urlaub .....