Monsieur Bertrant`s Regentanz


Monsieur Bertrant saß an einem schwülen Sommerabend auf seiner Veranda. Er sagte oft, er hätte die Hälfte seines Lebens bereits gelebt und wenn er hundert Jahre alt werden würde, könnte er damit sogar Recht haben. Nur sprach er davon schon seit vielen Jahren. Seine erwachsenen Kinder hatten inzwischen ihre eigenen Familien. Juliette, seine Frau, war einige Jahre jünger als er. Sie war eine temperamentvolle Frau, die trotz ihres Alters noch kein einziges graues Haar hatte und darauf war sie sehr stolz.

Während Juliette über die Sommermonate ihre Familie in Paris besuchte, um bei ihren alten Eltern zu sein, pflegte Philippe Bertrant die Abende allein zu verbringen und mit einer Flasche kühlem Weißwein auf der Veranda zu sitzen. Das Chateau hatte er von seinen Eltern geerbt, die dieses von ihren Eltern übernommen hatten und die wiederum von deren Eltern. An den alten Garten mit den Olivenbäumen, Zypressen, Zitronenbäumchen und den herrlich blühenden Oleanderbüschen grenzte ein großes Lavendelfeld. Der Duft der Lavendelblüten hing schwer in der Luft. Monsieur Bertrant liebte diesen Duft. Seit Generationen lebte die Familie vom Anbau und dem Handel mit Lavendel. Die gute Qualität war bei Kennern beliebt, die aus den Blüten Lavendelöl, kleine Duftsäckchen und Lavendelhonig herstellten.

An diesem Sommerabend, ebenso wie an den Abenden zuvor, blickte Monsieur Bertrant sorgenvoll hinauf in die warme Abendsonne. Es hatte seit vielen Wochen nicht geregnet. Und auch wenn Lavendel den Ruf hat, auf kargem, trockenen Boden zu gedeihen, brauchen selbst diese Pflanzen ab und zu Wasser. Ein Blick in den Garten eröffnete ihm auch dort ein Bild der Trockenheit. Die Oliven hingen viel kleiner als in den Jahren zuvor an den Bäumen und selbst das Gelb der Zitronen war blasser als sonst. Monsieur Bertrant konnte sich an keinen solchen heißen und trockenen Sommer erinnern. Eine Bewässerungsanlage war nie ein Thema gewesen, da das Klima hier in der Provence perfekt für den Anbau von Lavendel war. Soweit Philippe Bertrant über das Feld schauen konnte, soweit dominierte das zarte Lila der Blüten. Er liebte es die Schmetterlinge zu beobachten, die sich an den Lavendelblüten labten und deren zarte Flügelschläge eine herrliche Ruhe ausstrahlten. Ruhe, die Monsieur Bertrant so sehr liebte. Das Surren der Bienen, deren Honig er mochte, war wunderschöne Musik in seinen Ohren. In vier Wochen, Ende Juli, würde die Ernte beginnen. Dann wäre Philippe Bertrant von früh bis spät damit beschäftigt, die Lavendelblüten zu ernten. Seine Söhne würden mit ihren Kindern kommen, ihm dabei helfen und die Händler seine großen Körbe mit den Blüten, die herrlich dufteten, abkaufen . 

Monsieur Bertrant schaute erneut in den Abendhimmel und überlegte, was sein Vater und sein Großvater an seiner Stelle tun würden. Er begann sich an eine alte Indianergeschichte, die ihm sein Großvater schon als Kind erzählt hatte, zu erinnern. Nach altem Brauch, vollführen Indianer bei langer Trockenheit die Regentänze ihres Stammes. Da es an diesem Sommerabend noch immer sehr warm war und Monsieur Bertrant keinen Hunger auf sein Abendessen gehabt hatte, war ihm der kühle Weißwein bereits zu Kopf gestiegen. Er schlenderte langsam durch den Garten und summte eine Melodie, die er sich in diesem Moment ausgedacht hatte. Immer lauter summte er, bis er am Rand des Lavendelfeldes angekommen war. Monsieur Bertrant tänzelte ein paar Schritte, summte erneut und bewegte sich mehr hüpfend als geschmeidig durch die Reihen der Lavendelpflanzen. Als es dunkel wurde, ging er zurück zum Chateau, spülte unter der Dusche den langen Tag von sich ab und legte sich müde in sein Bett.

Am nächsten Morgen erwachte Monsieur Bertrant. Die Luft, die durch das weit geöffnete Fenster in sein Schlafzimmer drang, duftete anders als am Morgen zuvor. Die zarten, weißen Stoffe an den Gardinenstangen wehten weit hinein in sein Zimmer. Ein Rauschen ließ Philippe Bertrant in Sekundenschnelle zum Fenster eilen. Es regnete! Kein Unwetter, keine prasselnden Tropfen, die die zarten Blüten knicken würden, sondern ein wunderbarer Landregen wässerte die trockene Erde. So wie er war, nur im Pyjama, stürmte Philippe Bertrant hinaus in den Garten und weiter bis zum Lavendelfeld. Sein Pyjama klebte bereits nach wenigen Metern vor Nässe an ihm aber das spürte er kaum. Er dachte an den Abend und an die Melodie, die er gesummt hatte. Sie fiel ihm sogleich wieder ein. Und so summte er sie erneut, breitete die Arme aus und tanzte seinen holprigen Tanz. Das also war ein Regentanz. Sein ganz persönlicher Regentanz, der des Monsieur Bertrant. Diese Melodie gab er vier Wochen später an seine Kinder und deren Kinder weiter. Sie wurde zur Lavendelmelodie der Familie Bertrant. 



                                       


PS: Für Helmut, in der Hoffnung auf Regen

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