Helenes Weihnachten der Vergangenheit




Nachdem Helene an diesem Nachmittag ihren Kindern von Früher erzählt, mit ihnen Weihnachtsplätzchen gegessen und die gemeinsame Zeit genossen hat, liegen die Knirpse inzwischen in ihren Betten. Auch Helene kommt nun zur Ruhe. Morgen ist Heiligabend und es ist soweit alles vorbereitet. Die Reise in ihre Vergangenheit hat in Helene viele Erinnerungen wach werden lassen. Sie hat Ada und Albert erzählt wie es war, als sie noch ein Kind war. Dass sie Samstags zur Schule gehen musste. Kein Handy, kein Internet. Und wie die Familie den Heiligabend erlebte.

Es gab eine Zeit, in der Deutschland geteilt war. Die Mauer zog sich von Norden nach Süden und teilte das Land in Ost und West. Helene und ihre Schwester Valerie erlebten ihre Kindheit in einem kleinen Dorf in Brandenburg. Ihre Kindheit war unbeschwert und sie verbrachten die Ferien, Ostern, Weihnachten, den Jahreswechsel und viele Wochenenden bei den Großeltern. Diese hatten ein großes Haus und einen noch größeren Garten.

Helene lächelt, als sie an die Weihnachtsvorbereitungen ihrer Kindertage zurückdenkt.
Der Großvater hatte in jedem Jahr den Baum besorgt. Sein Freund war Förster. Von ihm hatten sie auch den treuen Cocker Spaniel Jussi bekommen. Wochen vor dem Weihnachtsfest wurden mit Mama und Oma die Teige für Stollen und Plätzchen geknetet, es wurde ausgestochen und gebacken. Und nachdem Helene und Valerie damit fertig waren, die Plätzchen und die Stollen in Puderzucker zu baden, sah die Küche aus, als hätte es geschneit.

Am Heiligabend war immer Unruhe im Haus der Großeltern. Mama und Oma waren mit dem Füllen der bunten Teller beschäftigt. Helene und Valerie lunschten dann durch einen Spalt der Küchentür. Wenn die Oma nicht gewesen wäre! Was sie alles organisiert und herangeschleppt hatte. Oma durfte als Rentnerin nach Westberlin fahren und brachte in der Adventszeit viele süße Leckereien mit. So lagen neben Apfelsinen, Lebkuchen und Hohlkörpern aus Schokolade auch Toffifee auf den bunten Tellern. Die Apfelsinen waren nicht aus Kuba und grün sondern leuchtend orange, süß und saftig.

Solange Mama und Oma in der Küche zu tun hatten, schmückten die Schwestern mit Papa und Opa den Weihnachtsbaum. Opa hatte viele Kartons vom Boden geholt und Papa begann die Lichterkette und das Verlängerungskabel zu überprüfen. Dann öffnete Opa die erste Schachtel und sprach über die jeweilige Herkunft der Kugeln. Manche waren ganz alt und Opa meinte, sie wären für das Herz und die Seele sehr wertvoll. Heute weiß Helene, was Opa damals damit gemeint hatte. Es wurden auch kleine Engel an die Zweige gehängt. Und natürlich Lametta, das nach Weihnachten geglättet und in die Verpackung zurückgelegt wurde. Nicht zuviel und nicht zuwenig. In jedem Jahr war es der Höhepunkt, wenn Valerie und Helene die Spitze, die ebenfalls sehr alt war, auf die Tannenspitze stecken durften. Dann drehte Papa an einer ganz bestimmten Kerze der Lichterkette und der Weihnachtsbaum erstrahlte. Mama hatte dann stets Tränen in den Augen und Oma kam mit einem Tablett aus der Küche, auf dem vier Tassen Glühwein standen und zwei Gläser Zitronenlimonade. Es wurde angestoßen und alle freuten sich in der grössten Unordnung über den schönen Weihnachtsbaum. Es war völlig unwichtig, wieviele Kartons und Tüten im Wohnzimmer herumlagen, wichtig war nur dieser Moment.

Nach dem Mittagessen war es Tradition, dass die Schwestern in die Badewanne kamen. Oma drehte sich ihre Lockenwickler ein, Mama und Papa gingen spazieren und Opa pflegte ein Schläfchen zu halten. Während der Kaffeetisch abgeräumt wurde, schauten die Schwestern einen Märchenfilm. Am liebsten sahen Helene und Valerie die Märchen von "Schneeweisschen und Rosenrot" oder "Aschenbrödel". Wenn es dann dunkel war, zogen sich Opa, Papa und die Schwestern warm an und sie gingen alle vier gemeinsam mit Jussi an den weihnachtlich beleuchteten Fenstern der Nachbarschaft vorbei. Das Leuchten in den Straßen ließ die Kinderaugen von Helene und Valerie strahlen. 




Als sie in das Haus der Großeltern zurückkamen, erzählte Oma, dass der Weihnachtsmann da war und zeigte auf die Geschenke unter dem Weihnachtsbaum. Danach wurde geraschelt, ausgepackt, gespielt, gelesen, gelacht, erzählt und es wurden Weihnachtslieder gesungen. Zum Abendessen gab es Kartoffelsalat mit Würstchen und einen besonders leckeren Kochschinken. Diesen hatte Oma von einer ehemaligen Kollegin bekommen, deren Mann Fleischer war. Spät am Abend fielen Valerie und Helene müde in ihre Betten. Der Stern der Weihnacht leuchtete hell.

So wie heute, denkt Helene. Sie hat all das, was Weihnachten schon immer für sie war, ihren Kindern weitergegeben. Die Freude am Schenken, am Teilen und am Näherrücken, am Innehalten, der Besinnlichkeit und der Liebe zu den Menschen, die Helenes Herz berühren, ob nah oder fern. 





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